Wahlprüfstein Landtagswahl 2019: Bitkom – Bundesverband Informationswirtschaft – Thema: Startup-Politik
Der Begriff Start-up ist nicht geschützt. In diesen Antworten verstehen wir unter Start-up ein neues Unternehmen mit einer neuen Geschäftsidee und relativ hohem Wachstumspotenzial.
DIE LINKE. Sachsen setzt sich zum einen für eine freie Gesellschaft ein, in der jeder Mensch seine Potenziale entfalten kann. Das spiegelt sich auch in unseren bildungs‑, kultur- und demokratiepolitischen Leitlinien. Zum anderen ist unser Markenkern das Soziale. Wir wollen ein Wirtschaftssystem ohne Ausbeutung von Mensch und Natur. Wirtschaftspolitische Fragestellungen bewerten wir stets auf der Grundlage dieser politischen Haltung. Beispiele: Einige in Deutschland freuen sich darüber, dass Deutschland gerade im Bereich der Online-Spiele viele vielversprechende Startups am Markt hat. Andere sehen das kritisch, denn Online-Spielen kann auch süchtig machen. Und wer trägt die Kosten des Markterfolges des deutschen Start-ups Zalando, z. B. des Ressourcenverbrauches durch gestiegenes Transport-Volumen oder der Ausdünnung des Einzelhandels außerhalb der Metropolen?
Standort Sachsen: Welche Bedeutung hat die Startup-Szene für Sachsen und die zukünftige Entwicklung des Freistaates aus Ihrer Sicht? Wie schätzen Sie den Startup-Standort Sachsen im nationalen und internationalen Vergleich ein (Stärken/Schwächen)? Welche Maßnahmen wollen Sie umsetzen, um Sachsen als Standort attraktiver zu machen?
Die Welt verändert sich jeden Tag, egal ob wir das wollen oder nicht. Der Kapitalismus ist jedoch immer auf Prozesse von Beschleunigung, Ausdehnung, Vervielfachung, Umbruch angewiesen. Die universelle Agilität ist zum neuen Anspruch der westlichen Wirtschaft geworden. Problematisch ist das zum einen für die Beschäftigten in den Betrieben, da sie immer öfter Veränderungsprozessen unterworfen sind. Das wird aber immer stärker auch zum Problem ganzer Regionen oder sogar Gesellschaften. Insbesondere die Menschen im Osten haben keine guten Erfahrungen mit wirtschaftlichen Umbrüchen gemacht.
Die Lösung rechtskonservativer Kräfte heißt: Zurück in die Vergangenheit. Im Gegensatz dazu setzen wir uns als LINKE für eine sozial und ökologisch ausgerichtete Zukunft ein. Aus unserer Sicht brauchen wir deshalb mehr Gründerinnen und Gründer in Sachsen, die zeigen, dass es ökologische, soziale, „enkeltaugliche“ usw. Produktionsweisen bzw. Geschäftsmodelle gibt.
Willkommenskultur und Migration: Welche Maßnahmen wollen Sie umsetzen, um internationale Talente in Sachsen willkommen zu heißen?
In Sachsen werden Menschen auf Grund ihrer Herkunft oder Hautfarbe offen auf der Straße angefeindet, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist weit verbreitet. Welcome Center in Universitäten oder Rathäusern, Stipendien und gute Forschungsinfrastruktur können das nicht wettmachen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass es in Sachsen eine Willkommenskultur für alle Menschen braucht, unabhängig ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder ihrer Talente etc. Unsere Vorschläge für mehr Demokratie, Vielfalt und sozialen Zusammenhalt würden auch positive Effekte für das „Willkommen fühlen“ von „internationalen Talenten“ haben.
Darüber hinaus haben wir in unserem Wahlprogramm Vorschläge vorgelegt, die ausländischen Arbeitskräften bessere (Zugangs-)Bedingungen für den deutschen Arbeitsmarkt erlauben und die interkulturelle Kompetenz der Sächsinnen und Sachsen fördern. Wir gehen davon aus, dass sich auch „internationale Talente“ bei Umsetzung der Maßnahmen willkommener fühlen würden. Im Folgenden eine Auswahl:
- europaweite Mindeststandards für die Arbeitnehmerfreizügigkeit
- stärkere Kooperation im Drei-Länder-Eck Deutschland-Tschechien-Polen, u.a. institutionelle Unterstützung
- Ausbau des ÖPNV-Netzes und der Bildungsprojekte mit Polen und Tschechien
- Mehrsprachigkeit in Kitas und Schulen
- Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung von Schul‑, Berufs- und Hochschulabschlüssen in der Europäischen Union.
Verwaltung: Mit welchen digitalen Services wollen Sie die Verwaltung ins 21. Jahrhundert bringen und Startups zeitraubende Behördengänge ersparen?
Eine umfassende Digitalisierung der Verwaltungsabläufe ist ein wichtiger Schritt zur Schaffung unabhängiger und barrierefreier Zugänge zu Hilfsangeboten und Unterstützung der Menschen, aber auch in den Verfahren mit der Wirtschaft. Dafür muss die Landesverwaltung grundlegend umgebaut werden.
Rechtliche Rahmenbedingungen: Wie wollen Sie Startups durch den Abbau von Regulierung und bürokratischen Hürden entlasten? Welche innovationshemmenden Gesetze wollen Sie abschaffen? Wie wollen Sie sicherstellen, dass bei neuen Rechtsverordnungen und Gesetzen immer auch die Auswirkungen auf junge innovative Unternehmen hin geprüft werden?
Für Unternehmen in Sachsen ist aus unserer Sicht vor allem die Förderpolitik viel zu bürokratisch, unabhängig davon ob sie digital umgesetzt wird oder nicht. Wir wollen deshalb Förderprogramme deutlich vereinfachen und zusammenfassen. Fördermittel müssen zügig und ohne Vorfinanzierungsbelastung ausgeschüttet werden. Ein Teil der Fördermittel soll für die in Sachsen ansässigen Forschungsinstitute vergeben und an die Forschung für den Klein- und Mittelstand gebunden werden. Dazu könnte beispielsweise eine Gründungsförderung mit Risikokapital und einer Brückenfinanzierung verknüpft werden.
Für Rechtsverordnungen und Gesetze sehen wir keine gesonderten auf „junge, innovative Unternehmen“ gerichteten Prüfkriterien. Allerdings wollen wir die soziale Absicherung von Soloselbständigen fördern, die ja sehr oft auch im „Start-up-affinen“ Digitalmarkt tätig sind. Wir wollen alle Selbständigen in alle sozialen Sicherungssysteme aufnehmen. Das kann durchaus dazu beitragen, dass diese Spielräume für größere unternehmerische Schritte bekommen.
Öffentliche Vergabe: Wie kann der Staat zum Startup-Kunden werden und innovative, junge Unternehmen besser im öffentlichen Vergabeprozess berücksichtigen?
Wir setzen uns für eine faire Vergabe in Sachsen ein und haben dazu auch einen Gesetzesvorschlag eingereicht (vgl. Gesetz zur Weiterentwicklung des Vergaberechts im Freistaat Sachsen, Drs 6/13914). Darin legen wir unter anderem fest, dass das Angebot mit dem niedrigsten Preis nicht automatisch als das wirtschaftlichste Angebot zu gelten hat. Es zählen weitere Kriterien als nur der angebotene Preis, nämlich die Gesamtleistung und die Gesamtkosten von Produkten (inkl. Folgekosten etc.). Unser Vergabesystem stärkt bestimme Leistungen und Leistungsqualitäten, kommt daher ohne die Begünstigung einzelner Anbieterinnen und Anbieter (z. B. junger Unternehmen) aus.
Gründerkultur: Welche Rolle sollten unternehmerisches Lernen und Unternehmergeist in den Schulen und Hochschulen Sachsens spielen?
Unklar ist, was „unternehmerisches Lernen“ sein soll. Es gab und gibt Unternehmerinnen und Unternehmer, die nach humanistischen und sozialen Maßstäben agieren (soziales Unternehmertum) und solche, die ihr Unternehmensportfolio mit Produkten und Geschäftspraktiken füllen, die auf Ausbeutung und Vernichtung von Mensch und Natur basieren. Welcher der vielen denkbaren unternehmerischen „Geister“ soll in Schule und Hochschule vermittelt werden?
Wir als LINKE möchten eine Schule fürs Leben, die Gemeinschaft und Solidarität stärkt und die Potenziale jedes einzelnen Menschen fördert. Wir brauchen nicht mehr „unternehmerische“ Lerninhalte. Bei der Berufsorientierung in Form von Information, Praktika und unterstützenden Angeboten für die Schülerinnen und Schüler und auch bei den späteren Weiterbildungsmöglichkeiten im Beruf sehen wir allerdings noch sehr viel Spielraum nach oben. Deshalb haben wir auch ein „Gesetz über die Weiterbildung und das lebenslange Lernen im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/9883) in den Landtag eingebracht.
Welche Maßnahmen wollen Sie an Schulen und Hochschulen umsetzen, um junge Menschen zu Unternehmensgründungen zu motivieren und für IT-Berufe zu begeistern?
Die Gründe, warum das Potenzial für Unternehmensgründungen in Sachsen noch nicht ausgeschöpft wird, sind vielfältig. Ursachen und Lösungen allein bei den Schulen und Hochschulen zu sehen, griffe viel zu kurz.
Ein Beispiel: Junge, gut ausgebildete Frauen verlassen immer noch zu sehr großen Teilen den ländlichen Raum (vgl. Studie des TRAWOS-Instituts). Dadurch entsteht eine gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische, aber auch eine unternehmerische Lücke. Deshalb wollen wir auf übergeordneter Ebene eine strategisch-politische Förderung der Bleibechancen von gut ausgebildeten Frauen im ländlichen Raum erreichen.
Darüber hinaus werden Frauen bisher auch in ihrem wissenschaftlichen (vgl. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Gendered University – Geschlechterordnungen an der TU Dresden) und unternehmerischen Weg benachteiligt. Eine Möglichkeit sehen wir in der besonderen Förderung innovativer Unternehmungsgründungen von Frauen durch den Freistaat Sachsen.
Sind Sie für die Einführung eines Pflichtfaches Informatik in allen Schulformen ab der fünften Klasse sowie verpflichtendem Englisch-Unterricht als lingua franca der digitalen Welt ab der 1. Klasse?
Langfristig ließe sich ein solches erstrebenswertes Ziel möglicherweise umsetzen. Angesichts des aktuellen, von den CDU-geführten Regierungen verursachten Lehrkräftemangels und der fatalen Stundenkürzungen im Bereich Sport, Musik, Kunst oder politischer Bildung sind die Spielräume dafür jedoch kurz- bis mittelfristig gering.
Finanzierung: Wie wollen Sie einen besseren Zugang für Startups zu Finanzierungsmöglichkeiten und privatem Wagniskapital schaffen?
Die Gründungsförderung in Sachsen wird auf die Unterstützung forschungs- und wissensbasierter, zukunftsorientierter Produkte und Dienstleistungen mit nachhaltiger Wirkung konzentriert. Dabei soll ein Großteil der Wertschöpfung auch tatsächlich vor Ort stattfinden. Dazu wird Start-Up-Unternehmen aus Praxis und Wissenschaft öffentliches Risikokapital – verbunden mit Gewinnbeteiligung – zur Verfügung gestellt und in Form von stillen Beteiligungen ausgestaltet.
Gibt es Förderprogramme des Freistaates Sachsen für Startups, die Sie verändern, abschaffen oder neu ins Leben rufen möchten?
Als Unterstützung wollen wir in der nächsten Legislaturperiode ein Förderprogramm „Sozialer Arbeitsmarkt Sachsen“ auflegen. Es geht dabei darum, privatwirtschaftliche Arbeitsplätze durch revolvierende Fonds insbesondere im Start-Up- und Hochtechnologiebereich zu unterstützen, wenn damit sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in Betrieben mit betrieblicher Mitbestimmung gesichert oder geschaffen werden.
Für kleine und mittelständische Unternehmen wollen wir darüber hinaus Innovationsgutscheine ausgeben.
Digitale Transformation: Wie will Ihre Partei Global Player, Mittelständler und Startups stärker miteinander vernetzen?
Für eine intensivierte Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft setzen wir auf die Schaffung von Technologiezentren. Darüber hinaus werden wir Mittel für Verbundprojekte von Unternehmen und Einrichtungen der Wissenschaft und der außeruniversitären Forschung bereitstellen. Dienstleistungen der Technologie- und Gründerzentren wollen wir stärker spezialisieren und attraktiver ausgestalten. Dabei soll klarer zwischen Technologiegründungszentren einerseits und Gewerbegründungszentren andererseits unterschieden werden.
Darüber hinaus wollen wir uns in der nächsten Legislaturperiode mit einem Staatsministerium und einer Enquete-Kommission für Digitalisierung allen Herausforderungen in diesem Bereich stellen, die ja weit über Fragen der Wirtschaft hinausgehen.
Wie werden Sie die Unternehmen dabei unterstützen, fit für das digitale Zeitalter zu werden?
Primär braucht es überall einen guten Zugang zur digitalen Infrastruktur, also auch im ländlichen Raum und den sächsischen Mittelstädten. Wir wollen eine Sächsische Landesgesellschaft für den Breitbandausbau aufbauen, die auch dort den Zugang sicherstellt, wo die Privatwirtschaft nicht ausbaut.