Wahlprüfstein Landtagswahl 2019: Bundesverband der Familienzentren e. V.
I. Qualität der frühkindlichen Bildung
1. Welche Bedeutung haben Familienzentren aus Sicht von DIE LINKEN in Sachsen? Für die• frühkindliche Bildung? Für die Elternbildung? Für die sozialräumliche Entwicklung? Für das demokratische Zusammenleben der Bevölkerung?
Kinder- und Familienzentren fördern den Zugang und den Erwerb von Bildung bereits im frühen Kindesalter und sind daher im Sinne der Chancengleichheit ein wichtiger Faktor. Sie sind wohnortnah gelegen, bieten einen niedrigschwelligen Zugang und sie leisten wichtige Unterstützung für Familien bei der Bewältigung des Alltags. DIE LINKE unterstützt deshalb die Entwicklung und den Ausbau von Kinder- und Familienzentren.
2. Welche Ansprüche stellt DIE LINKEN an die Qualität frühkindlicher Bildung? Welche Rolle kommt Ihrer Ansicht nach dabei den Familienzentren zu?
3. Welche Angebote frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung sichern Ihrer Meinung nach die Chancengerechtigkeit beim Aufwachsen?
4. Inwiefern schreibt DIE LINKEN den Eltern-Kind-Zentren präventive Wirkung im Hinblick auf gesundes Aufwachsen zu und mit welchen Maßnahmen wird Prävention gestützt?
Günstige Entwicklungsbedingungen für alle Kinder in ihren ersten Lebensjahren sind eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherung wirklicher Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung und Kultur. Bereits im frühen Kindesalter werden wichtige Weichen dafür gestellt, wie Lebenspläne reifen und realisiert werden können.
Daraus erwächst eine große Verantwortung, nicht nur für die Eltern. Auch die Gesellschaft als Ganzes muss besser dafür sorgen, dass die notwendigen Voraussetzungen für eine optimale Entwicklung der Kinder geschaffen werden können. Eine umfassende frühkindliche Förderung von Kindern durch Angebote der Bildung, Erziehung und Betreuung kann viel dafür leisten, unterschiedliche Bedingungen des Aufwachsens auszugleichen, die der Individualität jedes Kindes gerecht werden und die familiäre Zuwendung ergänzen. Nicht nur für Kinder mit sozialen oder anderen Benachteiligungen ist diese Förderung wichtig, sondern für alle Kinder und Familien. In Übereinstimmung mit der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, insbesondere Artikel 3, und dem § 1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes, ist es für DIE LINKE ein verpflichtendes Gebot, sich dafür stark zu machen, dass alle Kinder das Recht auf umfassende Förderung haben und an Bildung und Erziehung in Gemeinschaft mit anderen Kindern auf freiwilliger Grundlage teilhaben können. Das muss unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und unabhängig davon gewährt werden, inwieweit die Erziehungsberechtigten zeitlich und sächlich in der Lage sind, die Betreuung, Bildung und Erziehung selbst zu gewährleisten. Angesichts der alarmierenden Befunde über Kinderarmut in Deutschland gewinnt die Möglichkeit der Teilhabe an frühkindlicher Bildung und Betreuung eine besondere Bedeutung. Die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Kindern zu spielen und zu lernen, ist unabhängig von der sozialen Lage der Familien für alle Kinder wichtig. Wir sprechen uns darum für den flächendeckenden Ausbau ganztägiger Betreuungsangebote in Kindertageseinrichtungen aus. Eltern sollen sich ganz bewusst für die Förderung ihres Kindes in einer Kindertagesstätte entscheiden können – ohne Zugangsbeschränkung und Bedarfsprüfung.
Wenn Kindertagesstätten ihrer Verantwortung für soziale Chancengleichheit und gemeinsames Aufwachsen von Kindern gerecht werden sollen, so die Position der Partei DIE LINKE, müssen sie ihren eigenständigen und aktiven Beitrag zu
Bildung, Erziehung und Betreuung und damit zur Förderung der ihnen anvertrauten Kinder leisten. Frühkindliche Bildung und Erziehung stellt dabei keinen Widerspruch dar zu einem liebevollen Elternhaus, sondern ist die gesellschaftlich notwendige Ergänzung, um soziales und kognitives Lernen, Erleben und Gemeinschaft zu ermöglichen. Kindertagesstätten sollen nicht nur die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen, sondern sich als Bildungs- und Erziehungseinrichtungen in Partnerschaft zu den Eltern profilieren. Bildung, Erziehung und Betreuung gehören zusammen. DIE LINKE setzt sich für die Erarbeitung und Umsetzung flexibler an der Entwicklung der Kinder orientierter Bildungspläne für die frühkindliche Bildung in den Ländern ein.
In unserem Verständnis von Bildung und Erziehung im frühen Kindesalter wollen wir konsequent vom Kind, seinen sich entwickelnden Interessen und Bedürfnissen ausgehen. Jedes Kind ist einzigartig. Jedes will Schritt für Schritt auf individuelle Art und Weise die Welt begreifen und mitgestalten lernen.
Erwachsene müssen lernen, Kinder ernst zu nehmen, ihnen Räume zu öffnen, in denen sie spielen, lernen, Freundschaften schließen können und Geborgenheit finden. So kann das Kind im Dialog mit Erwachsenen und gemeinsam mit anderen Kindern seinen Zugang zur Welt finden, sein Wissen von ihr und der eigenen Person entwickeln, sich als soziales Wesen begreifen lernen und die Strukturen seines Denkens entfalten.
DIE LINKE setzt sich für die gemeinsame, inklusive Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern ein, unabhängig davon, ob Kinder behindert bzw. beeinträchtigt sind oder nicht, ob sie mit deutscher oder anderer Muttersprache aufwachsen und unabhängig von der finanziellen Situation und dem Bildungshintergrund der Eltern. Aufgabe von Kindertagesstätten ist es, die besonderen Talente jedes Kindes zu entdecken und ihnen Raum zur
Entfaltung zu geben, Benachteiligungen früh zu erkennen und auszugleichen. Viele Kindertagesstätten haben sich der Aufgabe inklusiver Bildung und Betreuung schon gestellt und setzen sie mit viel Engagement um. Doch die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, sind oft alles andere als optimal. Das reicht von der Barrierefreiheit der Einrichtungen und des Umfeldes über eine angemessene Ausstattung der Einrichtungen bis zum fachlich qualifizierten Personal und seinen Arbeitsbedingungen. Wir betrachten den „Index für Inklusion in Kindertageseinrichtungen: Gemeinsam leben, spielen und lernen“ als Leitfaden zur Umsetzung von Inklusion in der frühkindlichen Bildung und Betreuung.
Er muss in Bund, Ländern und Kommunen zur Grundlage der Ausgestaltung dieses Bildungsbereiches werden.
Es geht auch in der frühkindlichen Bildung um ein umfassendes Bildungskonzept. Neben der Förderung der kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten ist die Ausbildung von Gefühlen, Kreativität und Phantasie entscheidend. Die Fokussierung auf die MINT-Bildung, für die überall geworben wird, ist für uns zu einseitig, wenn andere Seiten der Persönlichkeitsentwicklung dafür vernachlässigt werden.
In Kindertageseinrichtungen soll es zudem ein gesundes warmes Mittagessen geben, aber auch ein gemeinsames Frühstück und eine Nachmittagsversorgung angeboten werden. Alle Kinder müssen daran teilnehmen können. Auch eine altersentsprechende Gesundheitserziehung und ‑vorsorge sollte in den Einrichtungen selbstverständlich werden. Kinder sollen lernen, wie man sich gesund ernähren kann.
Zu einer Kindertageseinrichtung, in der sich Kinder wohl fühlen, gehören auch vielfältige Möglichkeiten zur Bewegung, zu Sport und Spiel wie Räume zur Besinnung und Erholung. Von Kindertageseinrichtungen müssen Kinder Besitz ergreifen, sie mitgestalten können. Das verlangt Ideenreichtum im Umgang mit dem Vorhandenen, eine kluge Architektur, wo Neues entsteht, und eine pädagogisch sinnvolle Ausstattung.
5. Was planen Sie in der kommenden Legislaturperiode, um den quantitativen und qualitativen Ausbau der frühkindlichen Bildung zu verbessern? Was hat DIE LINKEN in Sachsen in der vergangenen Legislaturperiode bereits umgesetzt?
6. Welche Fachkraft-Kind-Relation streben Sie im U3- und Ü3-Bereich in Sachsen an, um Bildungsqualität und die Chancengerechtigkeit im frühkindlichen Bereich zu sichern?Und wie gedenken Sie die Qualifizierung der Fachkräfte sicher zu stellen?
7. Wie stellt sich DIE LINKEN die weitere Förderung von Familienzentren bzw. Eltern-KindZentren vor? Wie soll der Aufbau von Familienzentren (nach der obenstehenden Definition) in DIE LINKEN unterstützt und gefördert werden?
8. Wie möchte DIE LINKEN in der kommenden Legislaturperiode die Inklusion bzw. Integration im frühkindlichen Bereich der DIE LINKEN – auch vor dem Hintergrund der Zuwanderung – weiter vorantreiben? Der Bundesverband für Familienzentren e.V. hält vor allem den Early Excellence Ansatz geeignet, um Inklusion gelingend umzusetzen.
Um im Bereich der frühkindlichen Bildung grundsätzliche Reformen anzustoßen und längerfristig eine Beitragsfreiheit zu erreichen, wollen wir auch im frühkindlichen Bildungsbereich die Verantwortlichkeit des Freistaates stärken. Wir werden ausreichend wohnortnahe und barrierefreie Betreuungsplätze bereitstellen. Wir wollen, dass unsere Jüngsten in kleinen Gruppen mit einem Betreuungsschlüssel von 1:4 in der Krippe, 1:5 in der Kindertagespflege, 1:10 im Kindergarten und 1:17 im Hort bestmöglich betreut und gefördert werden. Zusätzlicher Aufwand für inklusive Betreuung soll berücksichtigt werden. Kita-Leitung, technisches Personal, Hilfspersonal und Auszubildende sind dabei nicht auf den Betreuungsschlüssel anzurechnen.
Um den Anforderungen für Entwicklungsdokumentationen und Elternberatung Rechnung zu tragen, wollen wir 20 Prozent der Arbeitszeit für diese Aufgaben anrechnen. Krankheits‑, Weiterbildungs- und Urlaubstage werden wir in die Berechnung des Betreuungsschlüssels mit einbeziehen. Damit sich die Erzieher*innen voll und ganz auf die Kinder konzentrieren können, braucht es zusätzliches Personal, unter anderem in Form von Verwaltungsassistent*innen. Praxisanleiter*innen sollen besonders honoriert und bei Bedarf für Weiterbildungen und die Koordination mit der theoretischen Ausbildung freigestellt werden.
Die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag hat einen weitreichenden Gesetzentwurf zur schrittweisen Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kindertageseinrichtungen im Freistaat Sachsen vorgelegt (Landtags-Drucksache 6/10764). Dieser zielt darauf ab, den Betreuungsschlüssel in allen Stufen von Kindertageseinrichtungen (Kinderkrippen, Kindergärten, Horte) und damit die Qualität der Kindertagesbetreuung schrittweise deutlich zu verbessern.
Damit allen Kindern vergleichbare Bildungschancen geboten werden, empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung, bundesweit einheitliche Qualitätsstandards für die strukturellen Rahmenbedingungen der Kindertageseinrichtungen einzuführen. Als Qualitätsstandard für Personalschlüssel schlägt sie bei der Betreuung von Kindern unter drei Jahren den Wert 1:3 sowie für die Altersgruppe der Kindergartenkinder (ab drei Jahren bis zur Einschulung) den Wert 1:7,5 vor. DIE LINKE geht dabei davon aus, dass diese Zielmarken in Sachsen nicht kurzfristig erreichbar sind, ohne die Kommunen finanziell zu überfordern oder/und ohne erhebliche Mittel im Landeshaushalt umzuschichten. Die Bertelsmann-Stiftung selbst beziffert den erforderlichen jährlichen Aufwand (ohne eine Verbesserung der Betreuungssituation im Hortbereich) mit ca. 774 Mill. Euro.
Hinzu kommt, dass auch die dazu benötigte Anzahl von Fachkräften kurz- und mittelfristig nicht zur Verfügung stehen würde. Aus diesem Grund zielt der Gesetzentwurf darauf ab, die von der Bertelsmann-Stiftung empfohlenen Betreuungsschlüssel in einem Zeitraum von zwölf Jahren, also bis zum Jahr 2030 zu erreichen.
II. Strukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen
1. Möchte DIE LINKEN Einrichtungen, die ein umfassendes und ganzheitliches Angebot für Familien anbieten, zusätzlich fördern?
a) Wenn ja, welche personellen oder finanziellen Ressourcen würden die DIE LINKEN auf Landesebene hierfür zur Verfügung stellen?
b) Wenn nein, wie möchten DIE LINKEN die Familienfreundlichkeit in Sachsen fördern?
DIE LINKE möchte generell die Praxis beenden, notwendige Entwicklungen nur als „Modellprojekte“ zu fördern, was immer mit einer Befristung der Förderung und einen erheblichen zusätzlichen Bürokratieaufwand für Träger und Einrichtungen verbunden ist. Was als richtig erkannt wurde, muss regelfinanziert werden.
2. Bedarfsgerechte Vernetzung mit dem Sozialraum und ein an die Bedürfnisse der Eltern angepasstes Angebot bedürfen einer fachlichen Koordination und Steuerung. Inwiefern sieht DIE LINKEN diese Koordinationsaufgabe bei einer Kindertageseinrichtung/ einem Familienzentrum? Wird DIE LINKEN bei einer Regierungsbeteiligung diesen Koordinierungsaufwand bei der Landesförderung strukturell oder finanziell berücksichtigen?
Ja, wir sehen die Koordinationsaufgabe. Und ja, wir wollen diese auch bei der Landesförderung berücksichtigen.
3. Können nach Einschätzung von DIE LINKEN Familienzentren einen Beitrag zu Armutsprävention leisten? Welche Maßnahmen sollen aus Sicht von DIE LINKEN in der nächsten Legislaturperiode ergriffen werden?
Ja. Siehe Antworten zu Fragekomplex 1.
III. Vereinbarkeit Familie und Beruf
1. Wie möchten DIE LINKEN die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Pflege und Beruf in DIE LINKEN weiter verbessern?
2. Welche Faktoren (Öffnungszeiten, Angebot, Partizipation der Eltern) sind für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus Sicht von DIE LINKEN maßgeblich und wie planen Sie diese in der kommenden Legislaturperiode gezielt zu verbessern?
a) Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen und Betreuungsangebote für Eltern im Schichtdienst:
b) Bedarfsgerechte Angebote in oder im Umfeld der Kindertageseinrichtung („OneStopp-Shop-„ oder „Alles aus einer Hand«-Prinzip ):
c) Partizipation der Eltern – Eltern als Experten für ihre Kinder anerkennen
d) Zusätzliche Faktoren, die aus Sicht von DIE LINKEN maßgeblich sind:
Die LINKE. möchte nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern, sondern allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, das Zeit für Erwerbsarbeit, für Familie und Freundinnen und Freunde, für gesellschaftliches Engagement, Bildung und Kultur sowie ausreichend Erholung und Zeit für sich selbst umfasst. Konkret wollen wir familiengerechte Arbeitszeiten, eine Umverteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit.
DIE LINKE wird mehr Geld in soziale Dienstleistungen investieren. Dazu gehören ein ausreichendes, bedarfsgerechtes und qualitativ hochwertiges beitragsfreies Ganztags-Betreuungsangebot für Kinder. Für Menschen mit Pflegebedarf brauchen wir eine solidarische Pflegevollversicherung und für ihre Angehörigen einen Rechtsanspruch auf eine sechswöchige Pflegezeit zur Organisierung einer neuen Pflegesituation.
Kitas können mit flexiblen Öffnungszeiten, Schulen mit Ganztagsbetreuung zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen. Generell sind wir allerdings der Meinung, dass Unternehmen und öffentliche Verwaltungen so organisiert werden müssen, dass sie den Bedürfnissen der Familien Rechnung tragen und nicht umgekehrt Familien und insbesondere Kinder ihren Lebensrhythmus nach den Bedürfnissen der Unternehmen ausrichten müssen.