Wahlprüfstein Landtagswahl 2019: Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) e. V.

  1. Welche konkreten Pläne haben Sie, um Unternehmensgründungen in Sachsen zu fördern?

Die Gründungsförderung in Sachsen werden wir auf die Unterstützung forschungs- und wissensbasierter, zukunftsorientierter Produkte und Dienstleistungen konzentrieren. Dabei soll ein Großteil der Wertschöpfung auch tatsächlich vor Ort stattfinden. Start-Up-Unternehmen aus Praxis und Wissenschaft wird öffentliches Risikokapital zur Verfügung gestellt und in Form von stillen Beteiligungen ausgestaltet. Innovative Unternehmungsgründungen von Frauen werden wir besonders fördern.

  1. Wie wollen Sie die Rahmenbedingungen für Unternehmensnachfolge verbessern?

Landeszentral wie regional wollen wir Kontakt- und Informationsangebote bspw. durch Nachfolgebörsen gemeinsam mit den Kammern und Verbänden etablieren und finanzielle Unterstützungsangebote zur Bewältigung besonderer Lasten bei der Unternehmensnachfolge unterbreiten.

  1. Welchen Stellenwert räumt Ihre Partei Selbstständigen, Freiberuflern und Unternehmern ein?

Wir wollen eine soziale Absicherung für alle Menschen in diesem Land, die aufgrund prekärer Beschäftigung, Altersarmut etc. am Existenzminimum oder in sehr labilen Einkommensverhältnissen leben. Das kann auch Selbständige, Freiberufler*innen oder Unternehmer*innen betreffen, z. B. durch ungünstige Konstellationen in Renten- und Krankenversicherung. Auch deshalb wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze abschaffen und eine Beitragspflicht für alle einführen.

Das sogenannte Crowdworking kann der Start in eine erfolgreiche Selbständigkeit sein. Die aktuellen Erfahrungen zeigen jedoch, dass viele Crowdworker*innen digitale Tagelöhner*innen sind: Schlecht bezahlte Soloselbständige ohne soziale Absicherung. In anderen Fällen handelt es sich um Scheinselbständige, die von einzelnen Auftraggeber*innen abhängig sind und wenig bis keinen eigenen Gestaltungsspielraum haben, jedoch die vollen Risiken ihrer Tätigkeit tragen. Solchen Auswüchsen stellen wir uns entgegen.

  1. Was wollen Sie gegen die hohen Abbrecherquoten an Schulen, in der Ausbildung und an der Hochschule tun?

Wir wollen die natürliche Freude am Lernen pflegen und erhalten, um beste Voraussetzungen für das lebenslange Lernen zu schaffen. Probleme wie eine unzureichende Alphabetisierung der Bevölkerung oder die immer noch zu hohe Schulabbruchquote müssen endlich der Vergangenheit angehören. Unser Ziel ist es, jedem Menschen in Sachsen einen Schul- und Berufsabschluss zu ermöglichen. Daran wollen wir uns messen lassen.

Um einen erfolgreichen Übergang von der Schule in die Berufsausbildung zu erleichtern und damit auch ein „böses Erwachen“ beim Start der Ausbildung oder gar den „Abbruch“ zu vermeiden, werden wir als Orientierungshilfe bereits ab Klasse 5 unterschiedliche Berufsfelder darstellen und mit zeitlich begrenzten Berufspraktika ab Klasse 7 den Erfahrungshorizont der Schülerinnen und Schüler erweitern. Die Berufsberatung muss weiter ausgebaut werden, insbesondere auch für den zweiten Bildungsweg. Dieser muss mit umfangreichen Maßnahmen weiter gefördert werden.

Wir setzen uns ferner für eine Verbesserung der Ausbildungsrahmenbedingungen unter anderem durch folgende Maßnahmen ein (Auswahl):

  • Bestand an staatlichen Berufsschulzentren (BSZ) bedarfsgerecht erhalten, um Jugendlichen kurze Schulwege zu ermöglichen
  • Förderung der beruflichen Erstausbildung durch die Bundesagentur für Arbeit über das 25. Lebensjahr hinaus durchsetzen
  • Berufsausbildung mit Abitur erleichtern
  • gebührenfreie Berufsausbildung durch finanzielle Gleichstellung von privaten und staatlichen Schulen
  • elternunabhängige, Bedarf deckende Grundsicherung für Azubis, dass niemand weniger als 1.050 Euro im Monat zum Leben hat
  • kostenfreies Mobilitätsticket für alle Auszubildenden im Freistaat Sachsen
  • inklusives Ausbildungssystem etablieren, in dem kein Mensch zurückgelassen wird (assistierte Ausbildung)

Durch die Einführung eines Orientierungsstudiums wollen wir die Studienabbruchs- und Studienwechselquoten senken. Ein zweisemestriges Orientierungsstudium soll Studierenden ermöglichen, einen Einblick in das Fach zu erhalten, sich grundsätzlich mit der Materie vertraut zu machen und ihnen einen Raum geben, in dem Fehler und Ausprobieren erlaubt sind.

Die Volkshochschulen und andere anerkannte Träger der Weiterbildung werden durch uns das Recht erhalten, staatliche Prüfungen zum nachträglichen Erwerb von Schulabschlüssen durchzuführen. Berufliche Weiterbildungsangebote wollen wir ausbauen und gebührenfrei stellen.

  1. Was wollen Sie tun, damit es auch in Zukunft ausreichend qualifizierte Fachkräfte gibt?

Wir werden ein Förderprogramm „Fachkräftesicherung“ auflegen. So wollen wir kleine und mittelständische Unternehmen genauso wie sächsische Kommunen bei der Entwicklung von Arbeits‑, Lern- und Lebensbedingungen unterstützen, um Fachkräfte im Freistaat zu halten bzw. nach Sachsen zu holen. Dazu gehören beispielsweise Projekte für lernförderliche Arbeitsbedingungen in den Unternehmen und familienfreundliche Infrastrukturen in den Kommunen. Auch in der besseren Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen in den Arbeitsmarkt sehen wir eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel zu begegnen.

  1. Wie wollen Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern?

Es braucht gute Schulen und Kitas, familienfreundliche Angebote, ein attraktives Lebensumfeld wie kulturelle Angebote und ein aktives Vereinsleben, um Mitarbeiter*innen langfristig binden zu können. Beispiel: Beruf und Pflege von sind heute kaum vereinbar. Wir wollen die Anerkennung der Pflege durch Angehörige erhöhen und würdigen. Je länger die Pflegebedürftigkeit dauert, desto größer ist das Risiko, dass pflegende Angehörige (v. a. Frauen) ihre Berufstätigkeit aufgeben müssen. Unternehmen müssen diesbezüglich sensibilisiert werden. Nach dem Ende der Pflegebedürftigkeit innerhalb von fünf Jahren muss es den pflegenden Angehörigen möglich sein, in ihren Beruf zurückzukehren. Wir werden uns auf Bundesebene für einen Rechtsanspruch auf Berufsrückkehr nach dem Vorbild des Mutterschutzes einsetzen. Pflegende Angehörige müssen Entgeltersatzleistungen erhalten, die vor wirtschaftlichen Einbußen schützen sowie sozialversicherungspflichtig sind.

Und ein kleiner, aber wichtiger Schritt: Wir werden eine Feiertagsreform im Freistaat Sachsen durchführen. Dazu werden wir u. a. einen Familienfeiertag am ersten Freitag im Juni einführen.

  1. Wie wollen Sie Sachsen künftig besser in das europäische Verkehrsnetz einbinden?

Langfristig erscheint eine Anbindung aller sächsischen Mittelstädte auf den Strecken Cottbus-Zittau, Görlitz-Dresden, Hof-Dresden, Erfurt-Chemnitz und Leipzig-Chemnitz für sinnvoll. Einige dieser Strecken sind noch nicht im Zielnetz der DB AG für 2030 enthalten. Sowohl nach Tschechien als auch nach Polen müssen mittelfristig reguläre, mehrmals täglich verkehrende Schienenfernverkehrsangebote realisiert werden, egal ob ICE oder EC/IC. Insbesondere für die Verbindung Dresden-Wroclaw besteht Handlungsbedarf, aber auch nach Liberec. Ein erster Schritt wäre die Verankerung der Elektrifizierung von Cottbus-Zittau und Dresden-Görlitz in Investitionsprogrammen bzw. Bund-Länder-Verträgen im Zuge der Gesetze zum Kohleausstieg in diesem Jahr. Darüber hinaus bedarf es auch im Regionalverkehr einer besseren grenzüberschreitenden Angebots- und Investitionsplanung. Als Beispiel können die Verbindungen im Erzgebirge nach Tschechien mit der Bahn, aber auch das immer noch nicht umgesetzte Straßenbahnprojekt in Görlitz gesehen werden.

Der Straßengüterverkehr kann durch den beschriebenen Schienenstreckenausbau entlastet werden. Außerdem gehen wir davon aus, dass verkehrsreduzierende Maßnahmen im Verkehr in Bälde eingeführt werden, insbesondere wegen der sich immer weiter verschärfenden Klimaschutzfrage. Ein weiterer signifikanter Ausbau der Straßenverkehrsinfrastruktur ist vor diesem Hintergrund (und weiterer Entwicklungen, wie weiter sinkende Bevölkerung, unklare Finanzierungsaussichten, auch vor dem Hintergrund immer größeren Erhaltungsaufwandes …) nicht vermittelbar. Es gilt das Prinzip Erhalt vor Neubau.

  1. Wie wollen Sie vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine leistungsfähige Infrastruktur in Sachsen gewährleisten? Wie wollen Sie sicherstellen, dass künftig ausreichend Mittel für den Ausbau und Erhalt der Infrastruktur zur Verfügung stehen?

Um die demografischen Grundlagen auch jenseits der großen Städte nachhaltig zu sichern und Abwanderung einzudämmen, wollen wir in allen Landesteilen eine Grundausstattung der Infrastrukturen der öffentlichen Daseinsvorsorge sichern und, wo notwendig, neu schaffen. Finanziert wird das unter anderem durch ein gerechteres Steuersystem.

  1. Welche Vorhaben planen Sie zur weiteren Stärkung der Digitalisierung der KMU?

Eine umfassende Digitalisierung der Verwaltungsabläufe ist ein wichtiger Schritt zur Schaffung unabhängiger und barrierefreier Zugänge zu Hilfsangeboten und Unterstützung der Menschen, aber auch in den Verfahren mit mit der Wirtschaft. Dafür muss die Landesverwaltung grundlegend umgebaut werden.

  1. Mit welchen Maßnahmen planen Sie den zügigen und flächendeckenden Ausbau der Breitbandinfrastruktur in Sachsen?

Primär braucht es überall einen guten Zugang zur digitalen Infrastruktur, also auch im ländlichen Raum und den sächsischen Mittelstädten. Wir wollen eine Sächsische Landesgesellschaft für den Breitbandausbau aufbauen, die auch dort den Zugang sicherstellt, wo die Privatwirtschaft nicht ausbaut.

  1. Wie wollen Sie den Mittelstand in Sachen IT-Sicherheit unterstützen?

Wirtschafts‑, Steuer- und Cyberkriminalität stellen erhebliche Gefahren dar. Schließlich sind sie meist mit hohen wirtschaftlichen und Vermögensschäden verbunden, betreffen viele Menschen und wirken bis in private Lebensbereiche hinein. Daher werden wir entschieden gegen Wirtschafts- und Finanzkriminalität, Steuerkriminalität und Cyberkriminalität vorgehen. Die Behörden wollen wir mit mehr Ressourcen ausstatten, damit sie Strukturermittlungen durchführen und Fachleute engagieren können. Deshalb werden wir spezialisierte Ermittlungseinheiten der Polizei und der Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls auch im Bereich der Strafrechtspflege, errichten. Sie sollen schlagkräftig auf komplexe und neue, in ihrer Erscheinungsform veränderte, Kriminalitätsphänomene reagieren. Dazu zählen vor allem international organisierte Kriminalität, grenzüberschreitende Kriminalität und Internetkriminalität.

Darüber hinaus wollen wir uns in der nächsten Legislaturperiode mit einem Staatsministerium und einer Enquete-Kommission für Digitalisierung allen Herausforderungen im Bereich Digitalisierung stellen, die ja weit über Fragen der IT-Sicherheit für die Wirtschaft hinaus-gehen

  1. Wie werden Sie sich für ein mittelstandsfreundlicheres Sachsen einsetzen? Welche konkreten Maßnahmen planen Sie für den Abbau von Bürokratie im Mittelstand? Wie wollen Sie den Wissens- und Technologietransfer zwischen Forschung und Mittelstand in Sachsen fördern? Wie wollen Sie darüber hinaus Innovationen in kleinen und mittleren sächsischen Unternehmen voranbringen?

Die Kleinteiligkeit der sächsischen Wirtschaft ist eine besondere Herausforderung. Kleine und mittelständische Unternehmen prägen den Wirtschaftsstandort Sachsen. Fast 90 Prozent der Betriebe haben weniger als zehn Beschäftigte. Kleine und mittelständische Unternehmen leben besonders häufig von regionalen Wirtschaftsbeziehungen. Daher müssen wir die Binnennachfrage stärken: Dies gelingt zum einen durch die Verbesserung der Einkommensverhältnisse der Menschen im Freistaat, aber auch durch die öffentliche Hand als Auftraggeber*in. Insbesondere in konjunkturschwachen Zeiten bietet sich so die Möglichkeit, eine stabile regionale Wirtschaftsentwicklung zu stützen und den Investitionsstau in den sächsischen Kommunen aufzulösen. Dazu wollen wir eine höhere kommunale Investitionspauschale für mehr Handlungsspielräume vor Ort und damit für die Regionalentwicklung durchsetzen sowie regionale Wirtschaftskreisläufe stärken.

Sparkassen und Genossenschaftsbanken sollen noch stärker in die Kreditfinanzierung von kleinen und mittelständischen Unternehmen einbezogen werden. Struktur- sowie regionalpolitisch besonders wichtige Vorhaben wollen wir über Landesbürgschaften absichern. Zur besseren Absicherung des Bedarfs an Risikokapital werden bestehende Instrumente gestärkt und neue Formen auf Landesebene entwickelt. Ein Beispiel hierfür wäre ein Innovationsfonds Sachsen.

  1. Wie wollen Sie sich mit den anderen Bundesländern für eine Reform der Abgaben und Umlagen auf Strom einsetzen? Wie wollen Sie die sächsischen KMU bei der Steigerung ihrer Energieeffizienz unterstützen?

Unternehmen können unter bestimmten Voraussetzungen in den Genuss einer besonderen Ausgleichsregelung in Form einer Begrenzung der EEG-Umlage kommen. Das Kriterium ist dabei nach derzeitiger Regelung jedoch weder die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gegenüber internationalen Wettbewerbern noch ein technologiebedingter energieintensiver Produktionsprozess. Belohnt wird vielmehr einfach die Tatsache eines hohen Energieverbrauchs, entlastet wird pauschal ab einem Schwellenwert von einer Gigawattstunde. In der Konsequenz führt das zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), die ihren Grund lediglich in der gesetzlichen Schlechterbehandlung geringerer Produktionsmengen haben. Die Industrie-Rabatte sind ein verdecktes Mittel der Förderung der Großindustrie und sind auf dieser Grundlage ökonomisch nicht gerechtfertigt.

Deshalb fordern wir die Abschaffung von Industrierabatten bei der EEG-Umlage und für die Gewährung besonderer Ausgleichsregelungen den Nachweis internationaler Wettbewerbsnachteil (vgl. Antrag im Landtag „Abschaffung von Industrierabatten bei der EEG-Umlage“,  22.01.2019 Drs 6/16434).

  1. Wie wollen Sie eine dezentrale Energiewende voranbringen?

Der Freistaat liegt im hinteren Bereich der Bundesländer beim Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energieträger. Wir wollen deshalb den Ausbau erneuerbarer Energieträger in Sachsen zur Strom- und Wärmeerzeugung massiv fördern. Hierfür setzen wir auf Sonne, Wind, Biomasse, Wasser und Erdwärme, um den Energieträger Kohle rasch abzulösen. Ziel ist es, dass der sächsische Bruttostromverbrauch vollständig von diesen Energieträgern gedeckt werden kann. Wir wollen einen ökologisch sinnvollen Mix verschiedener Energieformen erreichen, mit dem wir die Stromversorgung sicherstellen und der Strom bezahlbar bleibt.

Zur Erhöhung der Akzeptanz von erneuerbaren Energien legen wir ein Gesetz zur Demokratisierung des Energiesektors vor, welches die Beteiligung von Bürger*innen und/oder Kommunen an Investitionen festschreibt und vereins- oder genossenschaftliche Betreiberinitiativen fördert. Die sächsische Energieagentur SAENA soll dabei entsprechende Kompetenzen und Ressourcen erhalten, um diese Ziele zu erreichen.

Wir werden ein modernes Klimaschutzgesetz für Sachsen auflegen, welches auf der Grundlage einer aktuellen Potenzialstudie ambitionierte Ausbauziele für erneuerbare Energie beschreibt und Maßnahmen zur schrittweisen Umsetzung festlegt. Darin eingeschlossen sind die Förderung von Speichertechnologien ebenso wie Netzausbau‑, Energieeffizienz- und Einsparinitiativen. Dabei setzen wir auf die intelligente Steuerung von Erzeugung und Verbrauch (virtuelle Kraftwerke) und Sektorenkopplung. Weiterhin wollen wir erneuerbare Wärmekonzepte entwickeln, die die Nutzung von Erdgaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung als Brückentechnologie beinhalten. Die Umsetzung und Evaluierung des Klimaschutzgesetzes soll durch einen Klimabeirat aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterstützt werden.