Thesen der LAG Bildung DIE LINKE Sachsen im Schuljahr 2020/2021: Schule in Sachsen in Zeiten der Pandemie
These 1: Die Veränderung des Unterrichtens als Dauerzustand begreifen.
Das Schulsystem in Sachsen muss aller Voraussicht nach davon ausgehen, dass ein Mix zwischen Präsenzunterricht und digitalem Fernunterricht noch längere Zeit anhalten und sich intensivieren wird.
Ein Zurück zum vorherigen Zustand des Unterrichtens im ausschließlichen Präsenzunterricht wird es nicht geben. Es gilt nun aber, das aus der Notwendigkeit Geborene weiterzuentwickeln, nachhaltig und sozial zu gestalten.
Darauf muss technisch-infrastrukturell und bezüglich der Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern aller Schulformen reagiert werden. Das stellt das Bildungssystem vor die Herausforderungen beschleunigter Umsetzungen von technischen Aufrüstungsprogrammen, langfristigen Wartungsprogrammen und hinreichenden Weiterbildungsangeboten.
Das heißt für uns konkret:
- Ausstattungsprogramme mit Hardware, Software und mobilen Endgeräten für die heimische Nutzung
- Umsetzungen von technischen Aufrüstungsprogrammen, langfristigen Wartungsprogrammen
- hinreichenden Weiterbildungsangebote
- Ausbau und Weiterentwicklung von LernSax
These 2: Gesundheit aller muss oberste Priorität haben
Die anhaltende Pandemie-Situation bleibt für alle im Massenbetrieb Schule Tätigen immer noch gefährlich, da Abstandsregeln in vollen Schulen auch bei besten Hygienekonzepten und bei aller Vorsicht an Grenzen stoßen.
Die Gesundheit aller Beteiligten hat für uns weiterhin Vorrang vor allen sonstigen Belangen. Präsenzunterricht soweit es bei Gefahrenminimierung geht, aber nicht um jeden Preis.
Aufrechterhaltung des Schulbetriebes im Präsenzunterricht und die Gesundheitsvorsorge bleiben eine Gratwanderung. Die Realitäten haben gezeigt, dass regelkonformes Verhalten der Schülerinnen und Schüler oft nur schwierig umzusetzen und zu kontrollieren ist. Viele Lehrerinnen und Lehrer gehören Risikogruppen an, ebenso gibt es auch Schülerinnen und Schüler mit Risikofaktoren schwerer Verläufe.
Das heißt für uns konkret:
- Ausreichende, mindestens wöchentliche Tests für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und alle sonstigen an den Schulen Beschäftigte
- Rücksichtnahme bzw. Beibehaltung der Rücksichtnahme auf Personen mit besonderen Risikofaktoren
- Förderung von Programmen für die flächendeckende Ausstattung von Unterrichtsräumen, Sanitäreinrichtungen und Nebenräumen mit notwendigen Hygieneeinrichtungen und ‑mitteln.
These 3: Die sozialen Folgen der Pandemie mildern: Herkunft darf nicht Schulerfolg bestimmen
Der bisherige Lockdown und die Zeit des digitalen Unterrichtens haben aufgrund der unterschiedlichen häuslichen Arbeitsmöglichkeiten und ‑bedingungen zu einem weiteren Auseinanderdriften der Chancengleichheit und des Lernerfolges geführt.
Wie auch immer sich die Pandemiesituation entwickelt, dies bleibt eine nicht zu unterschätzende Gefahr der Situation und entsprechender Maßnahmen. Dies gilt es mit allen Möglichkeiten auszugleichen und zu beheben.
Unterschiedliche digitale Ausstattungen der Haushalte, die Anzahl der Personen im Haushalt, technische Fertigkeiten, guter Zugang zum Internet, jeweiliger Sprach- und Bildungshorizont, familiär-soziale Situationen sind auch in Sachsen höchst differenziert. Hintergründe und Bedingungen, die Schule durch gleichartige Lernbedingungen auszugleichen vermochte, wurden während des Lockdowns und der nachfolgenden Zeit in großem Maße bestimmend. Hierbei offenbarten sich verstärkt die soziale Schichtung der Gesellschaft und die unterschiedlichen Bildungshintergründe, die generell zu ungleichen Startbedingungen führen.
Das heißt für uns konkret:
- Möglichkeiten zur freiwilligen individuellen und gebührenfreien Zusatzförderung
- Infrastruktureller Ausgleich für Gegenden mit schlechtem Internetzugang für Schülerinnen und Schüler
These 4: Die längst überfällige strukturelle Reform der Schule vorantreiben: Längeres gemeinsames Lernen, Schule wohnortnah
Auch wenn Sachsen unter den deutschen Ländern ein scheinbar erfolgreiches Schulsystem hat, so sind doch alle deutschen Länder in vielfältigen Bildungsbereichen und insbesondere bezüglich der Abhängigkeit der Bildungserfolge von der Herkunft weit weg von europäischen Spitzenplätzen.
Es bleibt dabei: Das geteilte Schulsystem muss zugunsten eines längeren gemeinsamen Lernens überwunden werden. Insbesondere im ländlichen Raum können Gemeinschaftsschulen garantieren, dass die Schule wohnortnah bleibt.
In Sachsen geht die Entwicklung zu einem längeren gemeinsamen Lernen und hin zur individuellen Zuwendung für die allseitige Entwicklung des Kindes nur unter Widerständen und nur im Schneckentempo voran. Das geteilte Schulsystem sortiert Kinder nach wie vor zu früh, zu ungerecht, zu endgültig. Die Option einer Gemeinschaftsschule kann nur ein erster Schritt sein.
Das heißt für uns konkret:
- Förderung der (echten) Gemeinschaftsschule durch Umwandlung von Schulen in solche /
- Förderung bei Neuerrichtung von Gemeinschaftsschulen, insbesondere im ländlichen Raum
- Beachten der Option der späteren Umwandlung von Schulen in Gemeinschaftsschulen bei allen kommunalen Um- und Neubauten von Schulgebäuden
- Forderung nach Umwandlung von Landesoberschulen bzw. ‑gymnasien in Gemeinschaftsschulen (z.B. für Sport in Leipzig)
These 5: Wir dürfen uns es nicht länger leisten, Menschen am Bildungssystem scheitern zu lassen: Schule für alle allseitig und erfolgreich
Soziale Ungleichheit, Elitedenken und fragwürdige Nützlichkeitsideologien zementieren in Sachsen weiter einen antiquierten Zustand von Schule, der sicher auch Erfolge produziert, aber in hoher Zahl auch das Scheitern des Bildungsweges allzu vieler Jugendlicher mit allen psychischen und gesellschaftlichen Folgen, oft ohne Schulabschluss. Das entsprechende Gerüst flankierender Hilfen aus Schulsozialarbeit, Schulpsychologie, Entwicklungsberatung und auch der zeitliche Rahmen für das Zwischenmenschliche sind viel zu schwach ausgebaut. Das muss sich ändern.
Nach wie vor sind Schulen sehr unterschiedlich mit Schulsozialarbeit ausgestattet. Noch immer fehlt diese beispielsweise an den Gymnasien. Sie bleibt aber an jeder Schulform wichtig, da Schülerinnen und Schüler neutrale Ansprechpartner*innen brauchen, deren Hauptaufgabe deren soziale Belange und nicht allein ihr Lernerfolg ist. Mit steigender Differenziertheit der Gesellschaft und ja gewünschter individueller Entwicklung greifen standardisierte Antworten auf Probleme und Umgangsweisen mit komplizierten Lebenslagen immer weniger. Hier braucht es Expertinnen und Experten, wo Lehrer*innen im Massenbetrieb der Schule oft zeitlich und aus ihrer Rolle heraus überfordert sind. Aber auch Klassenleiter*innen brauchen mehr Zeit für das Miteinander. Schulpsycholog*innen gibt es noch immer nicht ausreichend. Das bisherige System auf dem Weg zur Inklusion ist stark ausbaufähig.
Das heißt für uns konkret:
- Programm zur Gewährleistung der Förderung und Finanzierung von flächendeckender Schulsozialarbeit (schrittweise) als Landesziel
- Erhöhung der Versorgung mit Schulpsycholog*innen
- in Lehraufträgen und Stundentafeln eingeräumte, bezahlte Klassenleiter*innenstunden
- Aufbau von multiprofessionellen Teams aus Expert*innen
These 6: Die personelle Ausstattung massiv aufstocken: Lehrerinnen und Lehrer kontinuierlich einstellen, ausreichende Reserven für Vertretungen planen, Studienkapazitäten erweitern, Fächerumschulungen erleichtern.
Die jahrelange verfehlte Personalpolitik der Staatsregierung hat bis heute nicht nur ein altersmäßig unausgewogenes Personaltableau in vielen Schulen aller Schulformen hinterlassen. Auch viele Ausbildungswege waren schulartfremd oder Notausbildungen. Auf jahrelange Nichteinstellungen folgten Rettungsprogramme im Schnellschuss. Eine qualitätvolle weil praxisorientierte, für den Bedarf hinreichende Lehramtsausbildung muss nunmehr einer kontinuierlichen Einstellung von Lehrkräften vorangehen, um Mangel und Unterrichtsausfall zu begegnen.
Nach wie vor erschwert die nicht hinreichende Lehramtsausbildung und die Einstellungspolitik ein kontinuierliches Wachsen des Lehrkörpers an allen Schulformen. Formale Besetzung aller (heruntergerechneten) Stellen bedeutet noch lange nicht Behebung des Lehrer*innenmangels. Oft wird so zum Beispiel nicht auf die nötige, sehr spezielle Ausbildung der Lehrkräfte wie im Eingangsbereich der Grundschule, geachtet. Bereits ausgebildeten oder gar tätigen Lehrer*innen wird eine qualitätvolle Umschulung auf ein weiteres, benötigtes anerkanntes Lehrfach noch immer mit unnötigen Bedingungen erschwert, während anderen und ihren Schüler*innen ohne weiteres fächerfremdes Unterrichten zugemutet wird. Auch in diesem Jahr sind wieder ausgebildete Lehrkräfte im Grundschulbereich nicht eingestellt worden. Die Fehler der Vergangenheit drohen sich zu wiederholen. Nach wie vor ist der Mangel selbst organisiert. Das muss sich ändern.
Das heißt für uns konkret:
- in Kooperation mit den Hochschulen Steigerung der Kapazitäten für die Lehramtsausbildung
- Steigerung der Praxistauglichkeit der Ausbildung durch frühzeitigen praktischen Bezug in den Schulen
- kontinuierliche Einstellung der grundständig ausgebildeten Lehrkräfte
- Programme zur Lehramtsqualifikation in Zusatzfächern
These 7: Gerechte Lern- und Arbeitsbedingungen so schnell wie möglich umsetzen, Schule als sozialen Raum stärken
Für uns entscheidet das Umfeld der Schule als sozialer Raum ganz entscheidend über die Chancengleichheit von Schülerinnen und Schülern auf ihrem Bildungs- und Entwicklungsweg.
Daher gilt es, die Schule als ausgleichenden sozialen Raum weiterzuentwickeln.
Die unterschiedlichen Startbedingungen der Schülerinnen und Schüler sind zuvörderst durch die Institution Schule ausgleichbar. Dabei verstehen wir Schule nicht nur als einen Lernraum, sondern auch als sozialen Raum. Hierbei sind die Zugänge zu modernen Lese‑, Kommunikations- und Recherchemöglichkeiten ebenso wichtig wie fördernde Freizeit- und Lernbegleitung durch professionelle, fair bezahlte und dauerhaft unterstützende Ansprechpartner*innen in der Schule. Auch kulturelle Betätigung, Erlernen demokratischer Selbst- und Mitbestimmung, Sport und gesunde Ernährung gehören für uns zu einer Schule als sozialem Raum. Zusätzlich sichert die Schule weit über den Unterricht hinaus die vielfältigen sozialen Beziehungen der Schülerinnen und Schüler untereinander. Die personellen und räumlichen Bedingungen dafür sind jedoch an vielen Schulen Sachsens stark ausbaufähig.
Das heißt für uns konkret:
- Kostenloses warmes Mittagessen für alle Schülerinnen und Schüler
- Absicherungen und Schaffung von Schulbibliotheken mit Betreuung, dauerhaft Bezahlung und Absicherung der Schulbibliothekar*innen
- Ziel bleibt die wirkliche rhythmisierte Ganztagsschule
These 8: Mitwirkung von Elternvertretungen Schüler*innenvertretungen ausbauen und stärken
Die Mitwirkung von Eltern und Schülern muss zu einer verbindlichen, partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Kultusministerium, Schulträgern, Schule, Eltern und Schülern ausgebaut werden.
Die Einbeziehung von Eltern und Schülern bzw. ihrer Vertreter in die Entscheidungen zu Bildungsthemen, in der Form wie sie jetzt besteht, ist durchzusetzen, da sie aktuell zu stark von Einzelpersonen abhängig ist. Während in Krisensituationen, wie in den letzten Monaten, die Mitwirkung geradezu zwingend erwünscht ist, wird diese in anderen Zeiten gern klein gehalten. Vereinzelt tritt dies auch an Schulen vor Ort auf, aber in größerem Maße auf der Ebene Schulträger und Kultusministerium.
Das heißt für uns konkret:
- verpflichtende Einbeziehung und Information von Eltern in die Entscheidungsprozesse auf kommunaler und Landesebene
- Auskunftsrecht zu Bildungsthemen, wie Schulorganisation, Schulnetzplanung, Bedarfsplanung und Lehrplanentwicklung.