Bildung ist Lebensmittel – auch in Pandemiezeiten
Beitrag linker Bildungspolitiker:innen
Die hohen Infektionszahlen haben bundesweit erneut für einen harten Lockdown gesorgt. Dieser betrifft auch wieder die Schulen, tausende von Lehrkräften und Millionen von Schüler:innen und deren Eltern. Bund und Länder haben eigentlich seit der ersten Welle ausreichend Zeit gehabt, einen Plan B vorzulegen und aus den Fehlern des letzten halben Jahres zu lernen. Eigentlich. Gelernt wurde von den Regierungen viel zu wenig. Es ist nunmehr schon fünf nach zwölf. Gehandelt werden muss dringend, um den Schüler:innen gute Bildung trotz Corona zu ermöglichen. Die aktuelle Diskussion beschränkt sich auf die Positionen „Schule auf“ oder „Schule zu“. Dabei ließe sich sogar in dieser Krise die dringend benötige Verbesserung der Bildungsqualität mit dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit ansteuern. Schule muss endlich zu einem Ort der breiten und tiefen Bildung werden. Denn: Bildung ist mehr als das Abarbeiten von Lehrplänen, mehr als Kompetenztraining. Das durch die PISA-Studien angestoßene „Bulimielernen“ für Prüfungen, Abschlüsse und Schulleistungsvergleiche steht einem emanzipatorischen Bildungsverständnis entgegen, das auf Selbstständigkeit, Mitmenschlichkeit, Vernunftfähigkeit sowie auf unabhängiges und kritisches Denken ausgerichtet ist. Junge Menschen sollen gefestigte und (selbst-)reflektierende Persönlichkeiten, also mündige Bürger:innen werden. Bildung darf nicht länger auf eine Anpassungsleistung an Arbeitsmarktanforderungen reduziert werden. Die Coronakrise bietet die Chance, den jahrelangen Umbau der Schulbildung nach ökonomischen Prinzipien zu stoppen und darüber nachzudenken, worum es bei Bildung eigentlich gehen sollte.
Schule muss als Lern- und Erfahrungsraum zugänglich sein!
Schule ist ein elementarer Lebensraum für Kinder und Jugendliche, ein wichtiger Bildungs- und Kommunikationsort. Schüler:innen müssen die Möglichkeit haben, sich in ihrer Schule in kleinen Gruppen und unter Wahrung aller Vorsichtsmaßnahmen zu treffen und austauschen zu können. Das soziale Miteinander mit den Schulfreund:innen darf auch während des Lockdowns nicht vollkommen verloren gehen. Dafür brauchen wir nicht nur Lehrer:innen, sondern auch Sozialarbeiter:innen und andere pädagogische Fachkräfte.
Nehmt den Druck raus! Bildung und Lernen sind wichtiger als Prüfungen!
Dieses Schuljahr wird definitiv kein Normales sein. Für Schüler:innen und Lehrkräfte bedeutet Corona eine enorme Belastung. Jetzt immer noch den Schwerpunkt auf Prüfungen und Leistungsbewertungen (Klausuren, etc.) zu legen, täuscht einen Regelunterricht vor, der der Ausnahmesituation in den Schulen nicht entspricht. Der hohe Prüfungsdruck gegenüber den Schüler:innen ist nicht zu rechtfertigen. Alternativen zu Prüfungen und Notenbewertungen sind jetzt notwendig. Es ist wichtig, auch in Corona-Zeiten möglichst viel zu lernen, aber es ist nicht wichtig, möglichst viel zu prüfen.
Fokus auf die schwächsten!
Der erste Lockdown hat gezeigt, dass die sozialen Folgen von Schulschließungen beträchtlich sind. Kinder aus benachteiligten Familien gehören jetzt in den Fokus von sozialen und bildungspolitischen Maßnahmen. Ihr Recht auf Bildung und Teilhabe muss ernst genommen werden. Homeschooling verschärft die sozialen Ungleichheiten im Bildungswesen dramatisch. Wer zu Hause keine optimalen Lernmöglichkeiten hat, muss in der Schule lernen können. Für Unterricht in Teilpräsenz mit der Möglichkeit der Teilnahme aus dem Homeschooling (Hybrid-Unterricht) müssen die Internetzugänge und die digitale Ausstattung der Schulen und der Schüler:innen verbessert werden. Neben der Ausstattung mit Digitaltechnik bedarf es auch einer stärkeren Betreuung durch pädagogische Fachkräfte. Denn: Pädagogik lebt vom Beziehungsgeschehen zwischen Lehrenden und Lernenden. Kein digitales Lernprogramm, kein Beschulen aus der Ferne kann das vollständig ersetzen. Wer zu Hause keine optimalen Lernmöglichkeiten hat, braucht besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Die Politiker:innen, die jetzt plötzlich das Wort der Bildungsgerechtigkeit im Mund führen, rechtfertigen damit ihren Weg des „Weiter so“ zurück in ein ungerechtes, ausschließendes und abwertendes Bildungssystems der Klassengesellschaft.
Kreative Konzepte statt planloser Notbetreuung!
Außerschulische Lernorte und das Einbinden von Kunst- und Kulturschaffenden und Handwerker:innen machen die ganze äußere Welt zu einem Lernraum. Hier können Schüler:innen einen besonderen Praxisbezug erfahren, denn außerschulische Bildungsangebote erweitern den Unterricht durch sinnlich wahrnehmbare Erfahrungen. Lernen an anderen Orten mit anderen Menschen aus der Praxis wie zum Beispiel Kunst- und Kulturschaffende, Handwerker:innen etc. ermöglicht auch, kleinere Lerngruppen zu bilden, die sich an den Bedürfnissen der einzelnen Schüler:innen orientieren. Dadurch können auch die notwendigen Hygienevorschriften besser umgesetzt werden. Museen, Theater, Galerien, kleine Werkstätten, Planetarien, Zoos und soziale Zentren – all dies liegt derzeit brach und könnte genutzt werden. Außerschulische Lernorte können eine echte Alternative zur Notbetreuung und wochenlangem Homeschooling sein.
Beteiligung durch Runde Tische!
Schulen und Schulgemeinschaften: Expert:innen der Praxis, Schulgemeinschaften, Lehrer:innenverbände, Elternvertrer:innen, Schülerkammern, Fachverbände, Elterninitiativen – alle können dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche in dieser Krise Rückhalt und Bestärkung finden. Sie dürfen keinen dauerhaften Schaden nehmen. Dafür sollen diese Interessengruppen mit den Behörden an Runden Tischen sinnvolle Wege diskutieren und entscheiden, die dem Recht der jungen Menschen auf Bildung und der Notwendigkeit des Gesundheitsschutzes für alle an schulischer Bildung Beteiligten Rechnung tragen. Ziel ist es, eine gemeinsame Lösung zu finden, die insbesondere die Bedürfnisse der Schüler:innen in den Blick nimmt.