Weihnachtsbrief des Liebknecht-Kreises Sachsen
Liebe Genossinnen und Genossen,
das zurückliegende Bundestagswahljahr 2021 war voller politischer Turbulenzen. Die ökonomisch Herrschenden haben am 8. Dezember mit Olaf Scholz einen neuen verlässlichen Bundeskanzler bekommen. Der Koalitionsvertrag der Ampel erweist sich bei näherer Betrachtung als sozialpolitisch schwach und als „ein Aufrüstungsvertrag, der sich auf Frieden schminkt“ (Sevim Dagdelen). Mit Friedrich Merz ist nunmehr ein direkter Vertrauensmann des Finanzkapitals Vorsitzender der CDU und voraussichtlich auch Oppositionsführer im Bundestag. Politische Kämpfe, in denen die Lohnabhängigen und die Friedenskräfte eine starke Linke brauchen, zeichnen sich ab.
Aber unsere Partei DIE LINKE ist mit den Wahlen am 26. September auf Bundesebene in eine existentielle Krise geraten. Noch nie waren ihre Schwierigkeiten so groß wie Ende dieses Jahres. Nur dank des Direktmandats von Sören Pellmann in Leipzig ist sie noch mit Fraktionsstärke im 20. Deutschen Bundestag vertreten. Sie hat es weniger denn je geschafft, ihre im Erfurter Programm 2011 niedergeschriebenen Alleinvertretungsmerkmale im Bundestagswahlkampf überzeugend zu vertreten. Eine Reihe dieser Merkmale wie die grundsätzliche Opposition zu Kapitalherrschaft und zur Kriegspolitik der Regierenden waren kaum noch erkennbar. Nach dem 26. September gab es bis heute keine überzeugende Auswertung der Wahl. Die Führung der Partei handelt offenbar nach der Devise: Wir machen weiter so, bleiben bei unserem Kuschelkurs mit SPD und Grünen, harmonisieren die Kommunikation zwischen Parteivorstand und Fraktion, geben „Nörglern und Meckerern“ keinen Raum und nennen das Ganze Neustart.
Von unserer Partei in Sachsen ist dazu bisher kaum etwas zu hören. Der 16. Landesparteitag, der im November in Schkeuditz stattfand, hätte Anlass sein müssen, unsere Lage kritisch einzuschätzen und Vorschläge zur Stärkung unseres linken Oppositionsprofils im Land und im Bund zu machen. Das ist nicht geschehen. Lediglich recht zaghaft kam die Idee einer Parteireform. Bis heute ist nicht erkennbar, welche Veränderungen der Landesvorstand damit anstrebt. Die am Freitag folgerichtig veröffentlichten Leitlinien für den weiteren Umgang mit Corona „Vertrauen zurückgewinnen – solidarisch durch die Krise“ reichen dazu selbstverständlich nicht aus.
Enttäuschend ist auch das jüngste Schreiben unserer Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler. Sie wollen den „Kompass“ unserer Partei neu ausrichten. Eine selbstkritische Aufarbeitung der Niederlage erfolgt nicht. Tatsächlich bekräftigen Susanne und Janine nur den politischen Kurs, der uns bei den Bundestagswahlen „praktisch politisch“ in die Niederlage geführt hat. Gemessen am Erfurter Programm von 2011 erfolgt eine Handlungsorientierung in mindestens zwei existenziellen Fragen nach rechts. Zum einen: Die namentlich nicht genannte DDR wird auf eine „Geschichte aus linksbegründeter Unfreiheit, staatlicher Willkür und autoritärem Obrigkeitsstaat“ reduziert. Wie man damit positiv an ostdeutsche Erfahrungen anknüpfen will, ist uns schleierhaft. Zum anderen: In der Friedensfrage gibt es kein Wort zum neuen Kalten Krieg, zum Kollisionskurs von USA und der NATO gegen Russland und China und damit zur aktuellen Kriegsgefahr. Wie man damit unserer Verantwortung für die Schaffung einer neuen Friedensbewegung gerecht werden will, vermögen wir nicht zu erkennen.
Wie auch in den letzten Jahren will der Liebknecht-Kreis Sachsen sich auch im neuen Jahr den nunmehr existenziellen Problemen unserer Parteientwicklung stellen. Sicherlich gilt es, dabei auch Erscheinungen einer allgemeinen politischen Müdigkeit zu überwinden. Unser gemeinsamer Dialog muss wieder an Kraft gewinnen. Das „Trotz alledem!“ von Karl Liebknecht sollte uns Mahnung sein.
Sobald es Corona zulässt, werden wir im neuen Jahr eine Mitgliederversammlung einberufen. Für Ende Januar planen wir wieder eine Diskussionsrunde im Internet. Führt bis dahin die Debatte per Telefon und den Meinungsaustausch über E‑Mails.
Wir wünschen auch besinnliche Tage über Weihnachten. Tragen wir dazu bei, dass das neue Jahr ein friedliches und für uns als Sozialistinnen und Sozialisten zugleich kämpferisches Jahr wird.
Volker Külow, Ekkehard Lieberam und G. Dietmar Rode
Leipzig, Radebeul 19.12.2021