Gleiche Sicherheit für alle statt Hochrüstung und NATO-Stärkung

Leipziger Erklärung zum Ukraine-Krieg

Ekkehard Lieberam, Roland Wötzel (Leipzig), Klaus Blessing (Zeuthen), 3. 2022

Erstens: Es gibt kein Recht auf Krieg nach dem Völkerrecht.

Nach der UNO-Charta ist Krieg nur als „Selbstverteidigung“ (Artikel 51 UNO-Charta) zulässig. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist das nicht. Er ist völkerrechtswidrig. Er ist zu verurteilen. Ein Recht auf Krieg wegen „Menschenrechtsverletzungen“ oder zum Schutz von ethnischen Minderheiten („responsibility to protect“) gibt es nicht.

Für die Linke ist Krieg kein Instrument der Politik, weder der Friedenssicherung noch der Friedenserhaltung. Krieg ist ein barbarischer Zivilisationsbruch. Er löst die Probleme nicht, sondern verschärft sie in aller Regel. Russland hat nunmehr deutlich mehr Probleme als es vorher hatte. Alle diplomatischen Initiativen sind zu unterstützen, die auf die Beendigung des Krieges gerichtet sind. Wir empfinden tiefes Bedauern über die Opfer des Krieges und sprechen den Angehörigen der Opfer unser Mitgefühl und unsere Solidarität aus.

Zweitens: Der Krieg gegen die Ukraine hat seine Vorgeschichte:  die Negierung der Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation durch USA und NATO.

Der Krieg Russlands ist eingebettet in eine sich schon längere Zeit andauernde Situation militanter Feindseligkeit gegen Russland. Dringliche Appelle des russischen Präsidenten zu einer konstruktiven Zusammenarbeit vor dem Deutschen Bundestag (2001) und auf der Münchener Konferenz (2007) wurden vom Westen arrogant in den Wind geschlagen. Statt Kooperation wurde Konfrontation in einem Prozess wachsender Aggressivität gegen Russland (und China) Inhalt westlicher Politik. USA und NATO haben ihr Einflussgebiet und ihr militärisches Potential nach Osten erweitert und dort mehr und mehr Angriffswaffen stationiert. Sie haben 2014 in der Ukraine ein militant  russlandfeindliches Regime an die Macht gebracht, das die Feindschaft zu Russland, den Beitritt zur NATO und die  schnelle Aufrüstung mit Nuklearwaffen zu Maximen seiner Politik machte. Dennoch ist die Feststellung richtig, dass mit dem  24. Februar 2022 eine Zeit noch größerer politischer Unsicherheiten und Gefahren begonnen hat.

Drittens: Triebkraft hin zum Krieg war ebenfalls die Diskriminierung der nach dem Maidan-Putsch entstandenen zwei Volksrepubliken in der Ukraine.

Die am 7. April 2014 ausgerufenen Volksrepubliken Lugansk und Donezk im Osten der Ukraine waren eine Reaktion auf die Diskriminierung der dort lebenden vorwiegend russischen Bevölkerung durch die Regierung der Ukraine. Sie waren ein Protest gegen das neue Regime in Kiew, das 2014 nach dem Putsch an die Macht gelangt war. Seitdem sind in diesen Gebieten etwa 20.000 Menschen getötet worden. Das am 2. Februar 2015 unterzeichnete und vorher zwischen der Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland ausgehandelte Minsker Abkommen war eine völkerrechtliche Vereinbarung, die der UNO-Sicherheitsrat am 17. Februar 2015 gebilligt hat. Sie sah in 13. Punkten unter anderem Wahlen in den Volksrepubliken und eine Verfassungsreform zur Sicherung ihrer Autonomie vor. Sie wurde von der Regierung der Ukraine in keinem Punkt erfüllt. Diese Regierung  behandelte die Volksrepubliken als rechtlose „separatistische terroristische Gebilde“ und empfahl den dort lebenden Russen die Auswanderung.

Viertens: Die Ukrainekrise ist seit langem eingebettet in militante Feindseligkeit gegen Russland, für die die USA verantwortlich sind.

Die nach dem Kalten Krieg entstandene „Sicherheitsstruktur“ im Zeichen der NATO  bietet für Europa keine Sicherheit. Sie verstärkt die Tendenz zum nuklearen Konflikt. Für die USA wurde die Ukrainekrise zum entscheidenden Mittel, um ihre Vormachtstellung in Europa auszubauen. Imperialistische Interessen der USA verhinderten eine Friedensordnung in Europa. „In einer Welt, in der Deutschland und Russland Freunde und Handelspartner sind, gibt es keine Notwendigkeit für US Militärstützpunkte, keine Notwendigkeit für teure, in den USA hergestellte Raketensysteme und keine Notwendigkeit für die NATO.“ (Mike Whitney, 23. 2. 2021) Durch den von Russland begonnenen Krieg sind wir von dieser Friedensordnung weiter denn je entfernt.

Fünftens: Die NATO hat 1999 mit dem „Kosovo-Krieg“ einen gefährlichen Präzedenzfall für den Krieg Russlands geschaffen. 

Die Regierungspropaganda des „Westens“ arbeitet insofern heute mit doppeltem Standard. Sie verurteilt den Krieg Russlands. Aber sie verschweigt, dass dieser nicht der erste heiße Krieg nach dem Kalten Krieg in Europa ist. Ihm ging ein Krieg nach dem gleichen Muster voraus. Dieser erste Krieg wurde 1999 von der NATO geführt. An ihm war auch Deutschland beteiligt. Gerechtfertigt wurde er mit dem angeblichen Völkermord durch Serbien, also mit einer ähnlichen Begründung die auch heute Russland für den Krieg gegen die Ukraine nennt. Die Regierenden der Bundesrepublik haben sich damals an diesem Krieg beteiligt und ihn gerechtfertigt. Die NATO wurde seinerzeit weder moralisch verurteilt noch angeklagt.

Sechstens: Der Krieg in der Ukraine nutzt den Interessen der NATO und überhaupt der „westlichen Wertegemeinschaft“.

Der Schritt Putins und damit der Russischen Föderation zum Krieg hat die Weltlage grundlegend verändert und wird sie weiter negativ verändern. Er bewirkt genau das Gegenteil von dem, was im Interesse der Linken liegt:

-          Die Welt nimmt zu Lasten unschuldiger russischer Bürger nahezu geschlossen eine antirussische Haltung ein.

-          In der Bundesrepublik ist nach dem ARD DeutschlandTrend vom 3. 3. 2022 der Prozentsatz der Befürworter von Rüstungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des BIP von 22 auf 69 Prozent gestiegen.

-          Die Westmächte können nun ihren Völkern „beweisen“, dass von Russland Kriegsgefahr ausgeht.

-          Die sich international zu Gunsten Russlands und seiner Sicherheitsinteressen formierende Friedensbewegung ist völlig in der Defensive..

-          Die Staaten der NATO und der EU werden zusammen geschweißt und sind einheitlich auf den Kurs der Militarisierung und Hochrüstung eingeschwenkt.

-          Die NATO wird gestärkt. Die Stationierung zusätzlicher Kräfte und Waffensysteme an der Ostflanke wird ausgeweitet.

-          Die Wirtschafts- und Finanzaktionen führen zu katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die der einfachen Menschen: in Russland, aber auch weltweit.

-          Die finanzielle „Entmachtung“ russischer Oligarchen kann Putin selbst in schwere Bedrängnis bringen und zu einer Stärkung westlich orientierter autoritärer Machtstrukturen in Russland führen.

-          Millionen Ukrainer müssen ihre Heimat verlassen.

-          Die Beziehungen zwischen Russland und China werden belastet.

Siebtens: Krieg als Mittel der Politik schafft keine Lösung der Sicherheitsprobleme.

Krieg ist für Linke auch aus politischen Gründen völlig inakzeptabel. Ein Krieg hat seine eigenen negativen Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten. Er schafft unsägliches Leid und nicht vorher absehbare neue Probleme. Er geht einher mit der globalen Ächtung der Kriegspolitiker in der öffentlichen Meinung.

Die offenbar bestehende Vorstellung der politischen Führung in Russland, der Krieg sei ein sinnvolles Mittel zur Lösung der gegebenen Sicherheitsprobleme, vergleichbar mit der Durchtrennung des „gordischen Knotens“, ist falsch. Die heutige Epoche einer neuen Systemkonfrontation hat nunmehr das Potenzial, noch schlimmer als vorher zu werden. Eine Befriedung der Sicherheitsprobleme ist nicht zu erwarten. Es drohen eine Verschärfung der Konfrontationen in Europa, ein Anwachsen des Hasses, ein mehr an  Hochrüstung. Wie die parlamentarischen und regierungsamtlichen Aktivitäten auch in Deutschland zeigen, soll die Einkreisung Russlands nicht beseitigt, sondern verstärkt werden.

Achtens: Unsere Forderungen sind: Rückkehr zum Völkerrecht, Deeskalation,  Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur, Kampf um gleiche Sicherheit für alle Staaten. 

Der Krieg und das sich verstärkende Banditentum in den internationalen Beziehungen müssen gestoppt werden. Notwendig ist die Normalisierung der internationalen Beziehungen auf der Grundlage des Völkerrechts.  Zu schaffen ist ein neues Sicherheitssystem für Europa und in Teilen von Asien. Die eskalierende Hochrüstung ist zu stoppen. Abrüstung ist notwendiger denn je.

Zu beachten ist dabei, dass der erklärte strategische Hauptfeind der USA im nächsten Jahrzehnt die Volksrepublik China ist. Die USA sind auf Kollisionskurs gegen China. Die Gefahr einer gigantischen Hochrüstung und eines mit nuklearen Waffen geführten Dritten Weltkrieges ist gewachsen. Sie abzuwenden muss nunmehr die Hauptaufgabe der internationalen Friedensbewegung sein. Ein mit nuklearen Waffen geführter Krieg ist nicht zu gewinnen. Damit zu drohen, ist inakzeptabel. Er würde mit dem teilweisen oder völligen Untergang der menschlichen Zivilisation einher gehen.

Neuntens: Es besteht die Gefahr, dass innerhalb der Linkspartei  „Freunde der NATO“ vollends Oberwasser bekommen.

Unsere historische Erfahrung lehrt, dass die NATO ein aggressives und das Völkerrecht brechendes Bündnis ist. Daran ändert auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine nichts. Das Kriegsbündnis NATO ist aufzulösen. Die Analyse der Strategie Putins und Russlands durch die Linke dürfen Gefühle der Freundschaft zum russischen Volk und die hohe Achtung und Würdigung der Leistungen der Sowjetunion für die Befreiung des deutschen Volkes vom Faschismus nicht gefährden.

Bereits in den letzten Jahren hat sich in der LINKEN die Einschätzung der Weltlage und der Kriegsgefahr deutlich verändert, ohne dass diese sich selbst änderte. Nicht zu übersehen waren bereits im Wahlkampf die Abschwächung der Kritik an der NATO und eine weitgehende Passivität der Partei in der Friedensbewegung. Im Frühjahr 2021 hat Janine Wissler noch vom „Kriegsbündnis NATO“ gesprochen. Seitdem nicht mehr. In der Gemeinsamen Erklärung der vier Vorsitzenden von Partei und Fraktion der LINKEN vom 28. Januar 2022 wird mit der Ablehnung „wechselseitiger Drohgebärden“ eine Position der „Äquidistanz“ eingenommen. Der „Hegemonialanspruch“ der NATO ist nur noch ein Kritikpunkt unter anderem. Nunmehr droht der völlige Übergang der maßgebenden Politiker der LINKEN auf  NATO-Positionen.

 

Ekkehard Lieberam und Roland Wötzel (Leipzig), Klaus Blessing (Zeuthen), 4. 3. 2022.