Bemerkungen zum Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine
Ekkehard Lieberam, Leipzig, den 26. April 2022
Roland Wötzel, Klaus Blessing und ich haben kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges, Anfang März zum Krieg dazu eine „Leipziger Erklärung“ veröffentlicht.
In einigen Tagen geht dieser Krieg nun in die 12. Woche. Ein Ende ist nicht abzusehen. Die Gefahr einer Ausweitung des Krieges ist unübersehbar geworden. Das Nachdenken über Ursachen und Folgen des Krieges dauert bei uns allen an.
In der „Leipziger Erklärung“ hatten ging uns vor allem um die Ursachen, um den Charakter und um die Folgen des Krieges. Dazu stehen wir nach wie vor.
Erstens: der Ukrainekrieg ist ein Zivilisationsbruch. Er stellt die Friedensbewegung vor neue Probleme. Er ist völkerrechtswidrig und politisch falsch. Er hat schlimme Folgen auch für die RF. Er ist eine europäische Katastrophe und hat das Potential zu einem globalen Supergau, zu einem Dritten Weltkrieg zu werden.
Der Kritik an diesen Positionen, wir würden übersehen, dass es sich um einen Bürgerkrieg handele, der ja schon 2014 begonnen habe und im Übrigen ja das Völkerrecht „tot“ sei, können wir nicht folgen. Eine Negierung der völkerrechtlichen und politischen Kriegsächtung kann nicht Sache der Friedensbewegung sein.
Zweitens: Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sind USA und NATO nicht plötzlich zu Friedensfreunden geworden. Im Gegenteil! USA und NATO bleiben bei ihrer bisherigen Politik der Einkreisung Russlands. Bekräftigt wird das Ziel eines Regimewechsels in Russland und einer militärischen Niederlage Russlands.
Die Ablehnung der russischen Sicherheitsforderungen, der Sturz einer russlandfreundlichen Regierung durch die bunte Maidan“revolution“ 2014, die militärischen Attacken gegen Lugansk und Donezk erklären Vieles. Die Einkreisungspolitik der NATO und die russlandfeindliche Politik der Ukraine rechtfertigen nicht den Krieg Russlands. Wir bleiben dabei: Ein Recht auf Krieg (jus ad bellum) gibt es im Völkerrecht nicht (mehr). Es gilt nach der UNO Charta ein Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen und nach Artikel 51 der UNO-Charta ein Recht auf Selbstverteidigung.
Drittens: Wir verweigern uns dem Säbelrasseln und der Anheizung des Ukrainekrieges mit immer mehr Waffen hin zum anhaltenden Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland, zum lang andauernden Vernichtungskrieg oder gar zum Dritten Weltkrieg.
Wir unterstützen die Bewegung „Die Waffen nieder“ und alle Forderungen nach einem schnellen Ende des Krieges mit diplomatischen Mitteln.
Wir wenden uns gegen die gerade in der Bundesrepublik begonnene neue Runde der Hochrüstung und der Stärkung der NATO.
Wir lehnen eine Osterweiterung der NATO ab, weil das Europa spaltet und Russland bedroht.
Wir fordern „Sicherheit neu denken“ und in diesem Sinne nach wie vor die Auflösung der NATO und die Achtung der Sicherheitsinteressen der russischen Föderation.
Die Entwicklung in den letzten Wochen hat aus meiner Sicht zweierlei deutlich gemacht. Zum einen wächst die akute Gefahr eines großen Krieges. Zum anderen mehren sich (im Gegensatz zur Stimmung unter den Regierenden der Bundesrepublik) bei den normalen Menschen die Bedenken gegen eine Eskalation des Ukrainekrieges. In der Ukraine, in Polen und in den meisten NATO-Staaten, vor allem aber in den USA, haben sich jene politischen Kräfte durchgesetzt, die die NATO und deren Mitgliedsstaaten systematisch in den Krieg mit hineinziehen. Mit der Lieferung von Waffen und nunmehr „schwerer Waffen“ erfolgt Zug um Zug eine Veränderung des Charakters des Krieges hin zu einem Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russischer Föderation. Die Gefahr eines Dritten, nuklear geführten Weltkrieges ist akut geworden.
Es wird immer deutlicher, dass unsere Einschätzung aus der „Erklärung“, Russland wäre in eine Falle der USA und der NATO gegangen, richtig ist. Dieser Krieg muss auch als „Vorspiel“ eines großen Krieges der USA um die Verteidigung ihrer Weltherrschaft gegen die Volksrepublik China gesehen werden. Die Russische Föderation soll als „nukleares Schutzschild“ der Volksrepublik ausgeschaltet werden.
Ich sehe mich so sieben Wochen nach unserer Leipziger Erklärung noch immer im Stadium des Nachdenkens über die Ursachen des Ukrainekrieges, über die neue Weltlage und über eine zeitgemäße Friedenspolitik.
Erstes Problem: Mittlerweile hat sich bei uns diese Einschätzung durchgesetzt: Die RF ist ein kapitalistischer Staat. Sie betreibt imperialistische Politik.
Die Vorstellung, das heutige Russland könne für die globale Friedensbewegung und die nationalen Friedensinitiativen ein Partner im Kampf für Völkerrecht und friedliche Koexistenz sein, war und ist offensichtlich eine falsche Auffassung. Neu zu überdenken ist allerdings die sich Rolle Russlands in der neuen Systemauseinandersetzung als strategischer Partner Chinas.
Zweites Problem: Innenpolitisch herrscht viel politische Verwirrung. Desinformationen erschweren die Analyse der Lage. Es gibt eine dominierende Tendenz zu einem irrationalen Kriegsgeschrei, das sich als Eintreten für den Frieden tarnt oder versteht.
Vieles deutet darauf hin, dass diese Stimmung vor allem in Kreisen der Regierenden dominant ist und das politische Denken der Normalbürger nur teilweise bestimmt. Es wächst offenbar die allgemeine Furcht vor dem Hineinschlittern in einen Dritten Weltkrieg.
Angesichts dessen wachsen zumindest mittelfristig die Chancen einer Friedensbewegung für das Ende des Krieges und für eine neue Sicherheitsarchitektur.
Drittens: Uns gibt zu denken: dass aus der Sicht der Bundesrepublik und mit dem Blick auf die Haltung der USA die Eskalation des Krieges fast unaufhaltbar anmutet.
Der Krieg zieht sich hin. Immer mehr Tote und Verletzte (Soldaten und Zivilisten) sind zu beklagen. Der Strom der Flüchtlinge reißt nicht ab. Verhandlungen kommen nicht voran.
Nach wie vor befürworten mehr als Zweidrittel der Bevölkerung den schnellen Übergang der Bundesrepublik zur Erreichung des NATO-Ziels der Verwendung von zwei Prozent des BIP für Rüstung in der Bundesrepublik. Ähnlich ist die Zustimmung zur Absicht, das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung zu verwenden.
Die Politik der Anheizung des Krieges in der Ukraine mit immer mehr Waffen hat sich durchgesetzt. Ein Beispiel: Geliefert wurden bereits 1000 Panzerfäuste und 500 Stinger-Raketen. Demnächst sollen 5.000 Panzerfäuste folgen.
Die Bundesrepublik ist zur Kriegspartei geworden. Es gibt eine stabile Mehrheit für eine neue Rüstungsspirale. Der Bundestag ehrt Selenski mit stehenden Ovationen und die Bundesrepublik heizt den Ukrainekrieg durch Waffenlieferungen an. Es geht auch anders: Das neutrale Österreich lehnt eine Einladung Selenskis und Waffenlieferungen ab.
Viertes Problem: Wir beobachten mit Sorge, dass die Linkspartei, die sich im Bundestag als einzige Friedenspartei versteht, womöglich mit dem bevorstehenden Parteitag im Juni dabei ist, zu einer weiteren Partei von NATO-Freunden zu werden.
Sei Jahren zeichnet sich in der Linkspartei eine organisierte Führungsgruppe ab, die nicht nur die Kritik an der NATO-Politik der Einkreisung der Russischen Föderation abschwächt, sondern die NATO-Politik zu ihrer eigenen macht. Im Bundestagswahlkampf hat die Linkspartei das Friedensthema nur halbherzig thematisiert.
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine konnte gerade noch verhindert werden, dass die Bundestagsfraktion der Linkspartei der Empfehlung Gregor Gysis folgt und den Hochrüstungskurs von Olaf Scholz unterstützt. Nun verlangen Politiker der LINKEN um Matthias Höhn gar, die Auflösung der NATO in zukünftigen Wahlprogrammen zu streichen.