Diskussionsbeitrag zur Videokonferenz am 18. Dezember 2022
Von Volker Külow
Zustand der Partei beklagenswert. Fabio de Masi: Im März 2022 nach der Saarwahl auf Twitter resigniert: „Es ist längst eine Mogadishu-Linke, in der unterschiedliche Stammesführer nur noch die eigene schmale Anhängerschaft bedienen.“
Aus der Vogelperspektive werden drei sehr ungleiche, gegensätzliche Lager sichtbar, deren Widersprüche nicht mehr überbrückbar sind; Ines Schwerdtner spricht in ihrem Jacobinartikel vom 14.12. von drei „Machtblöcken“, die sie allerdings etwas anders zuordnet als ich jetzt; Für Historiker drängen sich gewisse Parallelen zur SPD vor 1914 mit ihren drei Hauptströmungen Revisionisten, Zentristen und radikale Linke auf; natürlich hinkt der Vergleich in mehrfacher Hinsicht: Deutschland damals eine tief gespaltene Klassengesellschaft, BRD heute eine demobilisierte Klassengesellschaft; SPD eine wirkliche Arbeiterorganisation, die sich als marxistische Partei verstand, was PDS und LINKE nie getan haben und auch nie waren; 110 Reichstagsabgeordnete, eine Million Mitglieder; Gegenmacht und Gegenkultur, Europaweites Vorbild für die II. Internationale; 1914–1918; Rosa und Karl bis 1917 erst in SPD, dann in USPD; erst Ende 1918 KPD.
Heute: der rechte, NATO-freundliche Flügel sind die „Progressiven Linken“ mit Berliner Erklärung vom 3. Dezember, deren Lektüre sich durchaus lohnt, denn es ist ein Handlungsprogramm für die weitere Rechtsverschiebung der Partei 2023/2024; sicher derzeit die schwächste der drei Kräfte, aber aggressivste Strömung…
das stärkste Lager, einziger echter „Machtblock“ (I. Schwertner) ist Bündnis aus Bewegungslinken und Reformern, nahezu alle Schlüsselstellungen in den oberen Führungsetagen der Partei, den gesamten Parteivorstand plus Apparat KL-Haus; weil das so ist, genauer Leipziger Erklärung analysieren, die die Existenzkrise der Partei verschärft,
Die ohne Gegenstimme angenommene Erklärung vom 10. Dezember 2022 macht zwar den geradezu dramatischen Ernst der existentiellen Krise in unserer Partei deutlich, aber sie belegt auch die kollektive Unfähigkeit der Führung, die zerstrittene Partei mit einer zeitgemäßen linken Handlungsorientierung wieder zusammen zu führen.
Die Erklärung ist konturenlos hinsichtlich der Lageanalyse und hilflos hinsichtlich des Aufzeigens eines Auswegs aus der existentiellen Krise der LINKEN. Grundfehler der Erklärung ist es, dass sie mit keinem Wort auf die eigentlichen Ursachen des langjährigen Niedergangs der Partei eingeht und die tiefen inhaltlichen politischen Konflikte in der Partei vertuscht. Stattdessen ist vom „zerstörerischen Gegeneinander“ die Rede, ohne auszuführen, was und wer denn die Partei zerstört. Überhaupt bleibt unerwähnt, was viele ihrer Mitglieder und Wählerinnen und Wähler vor allem umtreibt: Die Diffamierung von Sahra Wagenknecht wegen einer guten kämpferischen Bundestagsrede sowie die Mauserung zahlreicher unserer Spitzenpolitiker zu NATO-„Verstehern“ und zu Befürwortern von Sanktionen gegen Russland und von Waffenlieferungen an die Ukraine.
Worin bestehen außerdem die Konflikte?
Erstens mit dem Erfurter Parteitag im Juni 2022 hat sich die Partei in neuer Qualität – personell wie auch inhaltlich – in den bestehenden Politikbetrieb eingeordnet.
Als systemoppositionelle Partei des Erfurter Programms von 2011 und als erste bundesweite Adresse des politischen Protestes gegen die Regierenden hatte sie sich schon vorher verabschiedet. Nunmehr ist sie auch in der Außenpolitik auf einen harten Kurs gegen die Russische Föderation eingeschwenkt. Die Einheit von Antikriegspartei und sozialer Protestpartei wird ersetzt durch die Orientierung auf eine Sozialpolitik ohne Bezug zum Friedenskampf. An die Stelle des Kampfes gegen USA und NATO tritt die Warnung vor einer „Wiederbelebung“ der „ökonomischen und militärischen Blockkonfrontation“, so als ob diese verschärfte Blockkonfrontation nicht längst auf neuer Stufe Realität wäre: besonders in Form des sich mittlerweile mehr zum Stellvertreterkrieg zwischen USA und NATO gegen Russland (und letztlich gegen China) gewandelten Ukrainekrieges.
Zweitens: Konkretes zur Verfasstheit der „pluralen sozialistischen Partei“, die es nach der Erklärung zu „verteidigen“ und „weiterzuentwickeln“ gilt, ist in der Erklärung nicht zu finden.
Um den Pluralismus, der verteidigt werden soll, ist es nicht gut bestellt. Nach dem Erfurter Parteitag ist nicht nur die Strömung um Sahra Wagenknecht nicht mehr im Vorstand der Partei vertreten. Im Parteivorstand sind Bewegungslinke und linke Reformer faktisch unter sich. Linke Strömungen in der Partei wie die Sozialistische Linke, die Gewerkschaftslinke und die Antikapitalistische Linke sind nicht mehr vertreten. Der aus Sicht des Parteivorstandes aufmüpfige Ältestenrat unter Hans Modrow wurde innerparteilich ins Abseits manövriert. Dafür umfasst der Pluralismus nunmehr auch NATO-„Versteher“ – eine unerträgliche Situation für viele Genossinnen und Genossen.
Drittens: Die Erklärung verfehlt mit ihrer „Zahnlosigkeit“ und mit der fehlenden Bereitschaft, „auf diejenigen, die zusammengehalten werden sollen zuzugehen“ (Ines Schwerdtner) die Revitalisierung der LINKEN.
Sie orientiert in Wirklichkeit auf ein „weiter so“, dessen Hinnahme dazu führen würde, die existenzielle Krise der Partei noch zu verschärfen. Es bedarf eines umfassenden Aufbruchs in der Partei von unten, um das zu verhindern. Die von der Führung der Partei mit dem Erfurter Parteitag ausgeschlossene Parteilinke muss eigenständig in die Debatte um die Zukunft der Partei eingreifen. Nur eine umfassende Parteidebatte, die die Einberufung eines Sonderparteitages einschließt, kann die Partei noch retten.
Wir brauchen eine Fortentwicklung des Erfurter Programms und nicht die Entsorgung marxistischer und friedenspolitischer Grundpositionen dieses Programmes. Wieder hergestellt werden muss die Einheit unserer Sozialpolitik mit dem Friedenskampf. In den Mittelpunkt unserer Friedenspolitik ist der Kampf gegen das Hegemoniestreben von USA und NATO zu stellen. In der Diskussion um die Zukunft der Linkspartei geht es aber nicht nur um die Erneuerung unserer Partei als linke Wahlalternative. Es geht längerfristig auch um eine linke Partei, die in der Lage ist, solidarische Gegenmacht zu schaffen, die Politik der Herrschenden von links zu beeinflussen und anhaltend der Integrationskraft des parlamentarischen Regierungssystems zu widerstehen.
Das alles ist die historische Herausforderung, vor der die dritte Kraft in der Partei steht; linker Flügel wäre eine Beschönigung der Situation, da wenig wirkmächtig, es gibt zumindest die „Populäre Linke“ mit S. Wagenknecht als Gallionsfigur; Im Frühjahr den Mund gespitzt, dann aber nicht gepfiffen, kein Kongress im Herbst wie angekündigt, dadurch viel Schwung verloren gegangen, viel Einfluss an der Parteibasis, ggf. sogar die Mehrheit; allerdings auch hier marxistische Grundpositionen nur partiell vorhanden…
Vorschlag für Doppelstrategie:
Erstens: Populäre Linke möglichst rasch (6 bis maximal 12 Monate) zu einer wirklich handlungsfähigen Kraft in der Partei entwickeln – inhaltlich, personell, organisatorisch Profil entwickeln plus bundesweite Vernetzung; um Widerstand zu leisten gegen weitere Rechtsverschiebung der Partei durch Parteiführung und „Progressive Linke“; dafür braucht es einen Stufenplan und strategische Handlungsfelder z.B. Schulterschluss mit kämpferischer Friedensbewegung (Kassel, Ostermarsch 2023), Gewerkschaft, Klimabewegung; Der Aufruf „Für eine populäre Linke“ endet mit dem Satz „Es ist vielleicht unsere letzte Chance.“
Zweitens: Parteispaltung nicht aktiv betreiben, aber bereit sein, wenn sie objektiv und subjektiv nicht mehr zu verhindern ist; ob und wann das passiert, ist kaum bis gar nicht vorhersehbar; Warnung vor zu vielen Erwartungen, denn es gibt allgemeingültige Lehren aus der Geschichte, d.h. unverzichtbare objektive Rahmenbedingungen für erfolgreiche (!) linke Parteineugründungen: nur in gesellschaftlichen Großkrisen wie Kriegen, Revolutionen, Zusammenbrüchen möglich, dazu zwingend eine breite Mobilisierung auf der Straße bzw. der Zivilgesellschaft; diese Dynamik fehlt derzeit weitgehend;
Schlusspunkt: Gramsi-Zitat „Was wir brauchen ist Nüchternheit, einen Pessimismus des Verstandes, einen Optimismus des Willens.“