Ostdeutsche arbeiten schon jetzt länger, Herr Kretschmer!
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert in einem Interview, auch in Sachsen sollten die Menschen länger arbeiten.
Eine Stunde pro Woche mehr arbeiten, später in Rente gehen und keine Anhebung des Mindestlohns forderte Kretschmer im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
„Kretschmer scheint einen wesentlichen Punkt zu vergessen: Die Menschen in Ostdeutschland arbeiten bereits länger und das für durchschnittlich weniger Geld als im Westen Deutschlands.“, sagt Landesvorsitzender Stefan Hartmann.
Kretschmer verweist auf die OECD und deren Zahlen zu geleisteten Arbeitsstunden im Vergleich mehrerer Länder. Dabei geht es allerdings nicht um die formale Wochenarbeitszeit, sondern um tatsächlich geleistete Arbeitsstunden.
„Länger arbeiten führt keineswegs zu einem höheren Arbeitsertrag. Entscheidend ist die Arbeitsproduktivität. Eine zu hohe Arbeitszeitbelastung kann sich sogar negativ auf die Produktivität auswirken und führt zu gesundheitlichen Belastungen. Es nutzt doch nichts, wenn die Leute auf dem Papier länger arbeiten, aber dann so oft krank sind, dass sie ausfallen.“, erklärt Landesvorsitzende Susanne Schaper.
„Wir brauchen hochwertige Arbeitsplätze, attraktive Arbeitsbedingungen und eine moderne Infrastruktur. Dafür sind umfangreiche Investitionen, ein gutes Bildungssystem und eine steuernde Industriepolitik nötig. Einfach immer mehr arbeiten und das womöglich unter schlechten Bedingungen ist ein Vorschlag aus dem vorletzten Jahrhundert. Kretschmer will Sachsen offenkundig zu einem Entwicklungsland zurückstufen. Bildlich gesprochen: Kretschmer will den Leuten einfach nur weismachen, sie sollen sich am Fließband mehr anstrengen und eine Stunde länger dort stehen, um unseren Wohlstand zu erhalten. Nötig ist aber eigentlich eine Modernisierung der Anlagen und Infrastruktur.“, sagt Landesvorsitzender Stefan Hartmann.
Zum Vorschlag Kretschmers, dass die Menschen „mehr Netto vom Brutto“ haben sollen, reibt man sich bei DIE LINKE. Sachen verwundert die Augen: „Die Programme der Parteien sind bekannt und liegen vor. Es ist Kretschmers CDU und es sind auch FDP und AfD, die die kleinen und mittleren Einkommen am wenigsten entlasten und stattdessen den Spitzeneinkommen Geld hinterherschmeißen wollen. Wenn Kretschmer das Gegenteil behauptet, kennt er im besten Fall das letzte Wahlprogramm seiner Bundespartei nicht – im schlechtesten Fall sagt er bewusst die Unwahrheit.“, kommentieren die beiden Landesvorsitzenden Susanne Schaper und Stefan Hartmann.
Hintergrund:
- Interview Kretschmers mit dem RND: https://gleft.de/5hJ
- OECD-Arbeitsstunden-Statistik: https://www.oecd.org/berlin/statistiken/arbeitsstunden.htm
- Wirkungen der Wahlprogramme (ZEW 2021) nach Einkommensgruppen: https://gleft.de/4oX