Silvio Lang – Was es braucht: Mut!
Wo stehen wir?
Bemessen wir die Lage unseres Landesverbandes (und der gesamten Partei) an Wahlergebnissen, dann stehen wir miserabel da. Sachsenweit haben uns bei der Landtagswahl 95,5% der Wählerinnen und Wähler bescheinigt, dass wir für sie kein akzeptables Angebot gemacht haben. Ohne die herausragende Arbeit von Juliane Nagel, die ihr Direktmandat zum dritten Mal verteidigen konnte und von Nam Duy Nguyen, der aus dem Nichts ein Direktmandat gewann, wären wir nicht mehr im Landtag vertreten. Das erste Mal seit 1990. Wir haben massiv kommunale Mandate verloren, wir haben 8 Landtagsmandate eingebüßt. Unsere politische Wirkmächtigkeit ist deutlich gesunken, misst man sie an parlamentarischem Einfluss. Eine wahrnehmbare, politische Bewegung von links, außerhalb der Parlamente ist in Sachsen nicht kontinuierlich wahrnehmbar – die Demos gegen die AfD Anfang 2024 waren motivierend, haben aber keinen nachhaltigen Effekt hinterlassen. Ob wir in dieser Bewegung verankert waren, darf hinterfragt werden.
Gleichzeitig erleben wir ein enormes Mitgliederwachstum, dass den Negativtrend der vergangenen Jahre umkehrt. Die Partei wächst. Das ist gut. Das Wachstum aber ist ungleich verteilt. Außerhalb Leipzigs verlieren die Kreisverbände weiter Mitglieder.
Das also ist der status quo. Ihn zu beschreiben ist keine Kritik an den bislang Handelnden in unserer Partei – das will ich explizit deutlich machen. Im Nachhinein zu bewerten, ob in der Vergangenheit richtige oder falsche Entscheidungen getroffen worden, bringt kaum Erkenntnisgewinn. Und jeder neue Vorschlag ist gerade nicht als rückwärtsgewandte Kritik am Bisherigen, sondern als konstruktive Idee für Neues zu verstehen.
Deshalb will ich den Blick in die Vergangenheit bis auf eine Anmerkung gar nicht anstellen: Susanne Schaper und Stefan Hartmann haben in einer extrem schwierigen Phase dem Landesverband einen inneren Zusammenhalt und eine zuvor selten gekannte Einigkeit gegeben, die eine von Außen oft hineinzureden versuchte Spaltung weitgehend ausbleiben lassen hat. Dass Die Linke in Sachsen nach Innen stark ist und attraktiv für viele neue Mitglieder, ist ihrem Wirken in den letzten Jahren zu verdanken. Dafür zolle ich beiden Respekt und Danke ihnen ausdrücklich.
Dennoch muss nun eine neue Phase im Landesverband Sachsen beginnen. Es mag die Auffassung geben, zunächst sollte die Bundestagswahl und der dazugehörige Wahlkampf 2025 abgewartet werden. Ich teile diese Position ausdrücklich nicht, im Gegenteil. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die nächste Landtagswahl ist zwar eigentlich erst 2029. Wer aber das unwürdige Gezerre schon bei „Kennenlernen“ und zu Beginn der Sondierungen bei den potenziellen „Brombeer“-Koalitionären verfolgt, ahnt: es könnte auch deutlich eher zu Neuwahlen kommen. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat bis dahin sollten wir nutzen, um an der Neuaufstellung unseres Landesverbandes zu arbeiten. Ohne Hektik und Panik, aber auch ohne selbstverschuldete Verzögerungen. Wir müssen bereit sein, wenn es so weit ist.
Was also ist zu tun?
Was ich als erstes von jeder Genossin und jedem Genossen einfordern werde und was ich selbst vorzuleben gedenke, ist eine andere Grundhaltung: was wir brauchen, ist Mut!
Mut, Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie schmerzhaft sein könnten. Mut, lieb gewonnenes, aber teures oder erfolgloses, aufzugeben. Mut, Veränderungen einzuleiten. Mut, Neues zu wagen. Lasst uns zusammen mutig sein! Ich bin bereit, mutig voranzugehen.
Zu unkonkret? Ok, dann Butter bei die Fische!
Unsere Strukturen zu verändern, wird nicht von Heute auf Morgen funktionieren. Egal ob es um die Aufstellung der Landesgeschäftsstelle, die Organisationsstrukturen in den Kreisverbänden und zwischen Landes- und Kreisverbänden, die Finanzstrukturen oder nötige Satzungsanpassungen geht – es wird Zeit brauchen. Deshalb ist es richtig, dass schon jetzt vom bisherigen Landesvorstand entsprechende Arbeitsgruppen eingesetzt worden sind, die sich um die Erarbeitung neuer Antworten auf veränderte Bedingungen bemühen. Ich werde diesen Prozess nach Kräften unterstützen, unabhängig davon, ob ich bei der Wahl zum Landesvorsitz zum Zug komme oder nicht.
Und ich werde eigene Ideen einbringen: wenn wir zum Beispiel feststellen, dass wir in den beiden Metropolregionen sehr viele Mitglieder haben, in den ländlicheren Räumen aber Aufgaben nicht mehr erledigt werden können, müssen wir es schaffen, beides zusammen zu bringen. Ich schlage dafür die Bildung von Aktivengruppen vor, die sich nicht an den Wohnorten der Genoss*innen organisieren, sondern an gemeinsamen Interessen. Ein Modell, dass ich zum Beispiel aus der Organisation außerparlamentarischer Bündnisse kenne. Ein praktisches Beispiel: viele Kreisverbände haben zunehmend Probleme, die Finanzarbeit zuverlässig abzusichern. In den großen Stadtverbänden finden sich aber sicher Personen, die bereit wären, sich in einer Gruppe ehrenamtlich um Buchungen und Co für die Kreise mit zu kümmern. Dafür müssen sie nicht vor Ort sein, das geht heute auch ortsunabhängig. Gleiches gilt für Social-Media-Arbeit.
Aktivengruppen können sich aber auch ganz anders rekrutieren: als Wandergruppe oder Gruppe Clubkultur, als Gruppe von Menschen, die gemeinsam als Genoss*innen Sport machen oder Sportvereine unterstützen wollen, als Gruppe von Genossen mit Kleingärten. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Letztlich zählt: Genossinnen und Genossen sollen zusammenkommen, um zusammen Dinge zu tun und das erkennbar als Linke. Und damit in die Gesellschaft und in die Partei hineinwirken. Und was ist mit den schon bestehenden, landesweiten Zusammenschlüssen? Sie sollen wie bisher schon ihre Stellung behalten und erfahren durch die Aktivengruppen sogar noch eine Verstärkung, davon bin ich überzeugt.
Aber wofür steht Die Linke in Sachsen?
Ich möchte Die Linke zu der Partei machen, die für eine neue Art steht, sich den politischen Auftrag von den Menschen abzuholen. Um Politik für die Menschen zu machen, ausgerichtet an den Problemen und Anliegen, die real für die Menschen existieren und uns geschildert werden.
Ein Instrument dafür werden sicher die, von der Bundespartei nun nochmal verstärkt ausgerufenen Haustürgespräche sein. Doch dieses Instrument hat seine Grenzen und die liegen dort, wo Siedlungsstrukturen weniger dicht sind, wo wir über Einfamilienhäuser anstatt großer Mehrfamilienhaus-Kieze reden. Aber dafür bietet das 21. Jahrhundert längst Lösungen an – erneut geht es für uns darum, den Mut zu beweisen, diese zu nutzen.
Und es wäre nicht das erste Mal. 2014 hat der Stadtverband Dresden ein Kommunalwahlprogramm aufgestellt, dass in einem bemerkenswerten Prozess entstand: zunächst konnten alle Genossinnen und Genossen aus dem Stadtverband eigene Vorschläge einbringen, für die es nur eine Bedingung gab: ein Zeichenlimit von 140 Zeichen (damals das Limit für einen tweet). In der Folge wurden aus allen eingereichten Forderungen diejenigen herausgefiltert, die von einer Mehrheit der Partei getragen wurden. Und dann wurde die Priorisierung in die Hände der Bevölkerung gelegt – also der Mut aufgebracht, die Kontrolle aus der Partei heraus und an die Menschen zu geben. Über ein Online-Tool konnte sich jeder einbringen und die für ihn wichtigsten 10 Forderungen votieren. Mit großem Abstand am wichtigsten votiert wurde die Forderung nach dem Neuaufbau einer städtischen Wohnungsgesellschaft – genau das Thema, mit dem dann auch die folgende Kommunalwahl zu einer erfolgreichen Wahl für Die Linke in Dresden wurde.
Solche Beispiele zeigen, dass es geht. Den Mut dafür aufzubringen, unsere potenziellen Wählerinnen und Wähler frühzeitig einzubinden, ist ein weitere Vorschlag von mir, um künftig herauszufiltern, welche konkreten Themen für die Menschen in Sachsen wirklich relevant sind und was sie dabei von uns erwarten.
Weitere Ideen mögen radikal klingen, aber auch hier verlange ich nur eines: den Mut, sie auszuprobieren. Wer Neues versucht, mag scheitern können. Wer einfach weiter macht, wie bisher und nur auf ein anderes Ergebnis hofft, wird sicher scheitern. Deshalb könnten wir zum Beispiel bei den nächsten Wahlen die Zahl der A1-Plakate radikal zu reduzieren und frei werdende Ressourcen auf den digitalen Bereich umzuverteilen. Um viel mehr eigene Sendungsfähigkeit herzustellen.
Aber wo ist denn jetzt der große Plan, die Erlösung?
Meine feste Überzeugung ist: die kann es in einer basisdemokratischen Partei nicht von einer Person geben. Diese, unsere gemeinsame Partei ist keine Ein-(oder-Zwei)-Personen-Show. Wir sind ein Kollektiv. Und dieses Kollektiv macht uns stark.
Ich widerstehe daher der Versuchung, nun einen ausdefinierten Plan aufzuschreiben. Weil ich es für anmaßend hielte, dass vom Landesvorsitz aus vordefiniert wird, wie es denn nun laufen soll. Die Rolle des Landesvorsitzes will ich anders definieren: es geht darum, die Prozesse anzustoßen, zu moderieren, zu forcieren und am Ende zu motivieren, dass sie auch zu Ergebnissen führen. Das aber sollte nicht mit Zaghaftigkeit oder fehlender Entschlusskraft verwechselt werden. Egal ob im alltäglichen Geschäft oder bei langfristigen Planungen: wo Entscheidungen zu treffen sind, darf sich ein Landesvorstand und an dessen Spitze der Landesvorsitz nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern auch hier ist Mut gefragt. Und dann Verantwortung zu tragen. Dazu bin ich bereit!
Den Weg aus der Krise schaffen wir als Landesverband gemeinsam oder wir scheitern gemeinsam. Mein Anspruch dabei wird der Gleiche sein, denn ich schon seitdem ich Kreisvorsitzender im Kreisverband Bautzen bin, immer wieder als Selbstverpflichtung formuliere, aber auch von allen anderen einfordere: ich will, dass wir neuen Ideen und Anregungen gegenüber grundsätzlich mit einer Haltung der Ermöglichung gegenübertreten, anstatt zuerst nach Gründen zu suchen, warum etwas nicht gehen kann oder soll.
Die daraus erwachsende Kollektivstärke will ich auch als Landesvorsitzender nutzen. Wo andere Stärken oder Expertise haben, die mir fehlt, werde ich sie einbinden. Das gilt für die Landesvorstandsmitglieder, die Kreisvorsitzenden, die landesweiten Zusammenschlüsse. Ich will das Know-how, den Wissensvorsprung und die vorhandenen Fähigkeiten im Landesverband nutzbar machen.
Los geht es also!
Ich bin seit 2009 in unserer Partei. Seitdem war ich schon in verschiedenen Funktionen aktiv. Ja, ich war auch schon zwei Jahre stellv. Landesvorsitzender. Wer jetzt meint, damit hätte ich schon meine Chance gehabt, dem sage ich: es hat sich anders angefühlt. Und es ist 5 Jahre her. 5 Jahre, in denen sich die Welt um uns herum verändert hat, in denen sich unsere Partei verändert hat, in denen ich mich verändert habe, Erfahrungen gesammelt habe. Seit 2019 bin ich Kreisvorsitzender im Kreisverband Bautzen. Und ein gutes Stück Stolz darauf, wie der Kreisverband heute dasteht und was er in den vergangenen Jahren erreicht hat – das bringe ich mit.
Es liegt nun an Euch, liebe Genossinnen und Genossen. Ich freue mich auf Diskussionen, auf das gemeinsame Ringen nach den besten Ideen, den besten Wegen. Das ich in der Lage bin, am Ende getroffene Entscheidungen und gefundene inhaltliche Positionen nach Außen überzeugend und mit Leidenschaft zu vermitteln, sollte ich in den letzten Jahren bereits bewiesen haben. Das will ich gern einbringen für diese Partei. Mit Euch zusammen und mit jedem im Landesvorstand und jeder Genossin an der Spitze des Landesverbandes, die Ihr mir dazu an die Seite stellt.
Alles, was es braucht, ist ein bisschen Mut!